Die batteriebetriebene Version des wiederauferstandenen Heiland, die hienieden unter dem Namen Elon Musk unter den Sterblichen wandelt, hat am 24.07. - bezugnehmend auf den Hinweis eines Nutzers, dass das Agieren der US-Politik in Bolivien auch dem Zugang zur den dortigen Lithium-Ressourcen diene - auf Twitter klargestellt, wie der Hase läuft: "We will coup whoever we want! Deal with it." (Screenshot, er hat das fürwahr bemerkenswerte Statement mittlerweile gelöscht, aber ignorante Großmäuligkeit und Feigheit sind ja praktisch zwei Seiten einer Medaille.)

Am 20.07. teilte Madonna auf Instagram ihren 15,3 Millionen Followern dies mit: "8 years ago. I was fined 1 million dollars by The government for supporting the Gay community. I never paid." (Screenshot, Quelle). Falls jemand Madonna nicht einordnen kann - das ist die alte, weiße Frau mit dem wahrhaft gruseligen Auftritt beim ESC 2019 in SM-Okkultkostümierung mit schief sitzendem Diadem. Mit "The government" meinte Madonna die russische Regierung und das brachte ihr Millionen Herzchen ein. Nein, sie zahlte wirklich nicht, denn tatsächlich passierte das: "In dismissing the case, the judge did not explain his decision, but also ruled that the activists must pay the legal expenses of the companies that organized Madonna's concert." (USA Today) Nicht die russische Regierung hatte geklagt, sondern zwei christliche Vereine und im Ergebnis musste diese nicht nur die Gerichtskosten zahlen, sondern auch die von Madonnas Anwälten, der Versuch einer Revision wurde abgewiesen. Immerhin sind - im Gegensatz zu 2012, als Madonna die Story erstmals in die Welt schickte - die deutschen Leit- und Qualitätsmedien nicht auf Madonnas Ente hereingefallen. Neben ein paar Randmedien wie MSN, Rolling Stone (das Musikmagazin) und Queer, das Zentralorgan der queeren Community, die es auch diesmal wieder taten, stellte der Tagesspiegel am 24.07. seine jounalistischen Qualitäten unter Beweis: "Und auch Popstar Madonna sollte nach einem Konzert in St. Petersburg eine Million Dollar für ihre LGBT-aktivistische Ansprache zahlen." (Quelle) Sind die drei Vorgänge wichtig? Nein (was bei der ersten Meldung noch nicht ganz ausgemacht ist), denn die Erde dreht sich dennoch weiter und die Russen zeigen sich nicht sonderlich beeindruckt. Ja, denn sie sind beispielhaft und bezeichnend für eine im Westen verbreitete Geisteshaltung. Ist diese Feststellung moralisierend?

Der American Exceptionalism ist nichts Besonderes, mir fallen einige Nationen resp. Staaten eine, die exzeptionell sein wollen und das auf ihre Weise auch sind - von Osten nach Westen beispielsweise Japan, China, natürlich Russland, die Türkei, der Iran, Israel, Ungarn, Frankreich, Großbritannien und eben die USA. Brzeziński schreibt aber nicht von American Exceptionalism, sondern von American Primacy - und das ist ein gewaltiger Unterschied. Über den Mann kann gar nicht genug geschrieben werden, denn er hat nicht nur die Geostrategie der USA nach dem Ende des Kalten Krieges redefiniert, sondern das in expliziter Weiterführung und Erweiterung der Heartland-Theorie nach Halford Mackinder getan. Diese 1904 veröffentlichte Theorie blieb unbeachtet, bis sie zuerst von Karl Haushofer, dem Mentor und Förderer von Rudolf Heß, aufgegriffen wurde und in das außenpolitische Konstrukt der NSDAP-Führung einging (was Mackinder auch vorgeworfen wurde). Wie das endete wissen wir.

Ein erheblicher Teil der jetzt aktiven Generation von Geostrategen im CFR und anderen Thinktanks (bis nach Deutschland mit Leuten wie beispielsweise Wolfgang Ischinger und kleineren Leuchten wie Andreas Umland und Ralf Fücks) sind mehr oder manchmal auch ein bisschen weniger Adepten und Epigonen von Brzeziński und auch die Nuland ist das, deren Artikel in Foreign Affairs mich zu den beiden Texte veranlasste (der historische Abriss ist sozusagen die Ouvertüre zum zweiten, direkt unter diesem Beitrag verlinkten Text). Man sollte auch nicht vergessen, dass Brzeziński der Urheber einer Totalitarismustheorie war (Totalitarian Dictatorship and Autocracy, 1956 mit Carl Joachim Friedrich) in expliziter Abgrenzung zu Hanna Arendts Theorie (The Origins of Totalitarianism. 1951), die sich schon vor geraumer Zeit als die allgemein gültige (auch bei den sogenannten Linken) durchgesetzt hat und im akademischen Betrieb und in den Schulen gelehrt wird, wenn denn dort die Sprache darauf kommt. Sie hat gegenüber Arendts Theorie den "Vorteil", dass man Staaten je nach politischer Großwetterlage de facto willkürlich als totalitär erklären kann. Das geht mit Arendts Theorie freilich nicht, ich habe hier dazu ausführlich geschrieben: Totalitarismustheorie - Arendt, Brzeziński und die Linke. Kurz - Brzezińskis Einfluss auf die Geostrategie des Westen sollte nicht unterschätzt und kann eigentlich nicht hoch genug angesetzt werden. Dabei geht es mir weniger um die Historiker, sondern ausschließlich um die Ignoranz der geopolitischen Praxis der Politiker und der Politikwissenschaftler in den Thinktanks im Westen - von wenigen Ausnahmen wie John J. Mearsheimer abgesehen - gegenüber den Erkenntnissen der Geschichtsschreibung, mithin um deren Geschichtsbewusstlosigkeit resp. -blindheit. Natürlich gab und gibt es exzellente Historiker, die den von mir erörterten Kontext sehr wohl im Blick haben und zu würdigen wissen - Eric Hobsbawm, Ian Kershaw, Timothy Garton Ash, in Deutschland Götz Aly und Sönke Neitzel.

Die Spaltung der Welt verläuft heute - im Unterschied zur Zeit des Kalten Krieges, als wir zwei Blöcke, ihre Vasallen und eine Handvoll Blockfreie hatten - entlang ziemlich unübersichtlicher Bruchlinien, was die Sache sehr viel komplexer macht. Der Eiserne Vorhang ist deshalb tiefgreifend und langwierig, weil er nie wirklich hochgezogen wurde - oder vom Westen wieder heruntergekurbelt wurde. Der politische Topos ist so alt wie der Sowjetkommunismus, er wurde vermutlich in Bezug auf Russland und Europa zuerst von dem Religionsphilosophen Wassili Wassiljewitsch Rosanow (1856 - 1919) verwendet: "Unter Rasseln, Knarren und Kreischen senkt sich ein eiserner Vorhang auf die russische Geschichte" (Die Apokalypse unserer Zeit, 1918). Der Eiserne Vorhang ist die Fortsetzung der Intermarium-Strategie der Ersten Rzeczpospolita, der Polnisch-Litauischen Adelsrepublik, die sich 1793 mit der zweiten Teilung Polens erübrigt hatte. (Stratfor: The Revival of Intermarium , South Front: Wer baut das Intermarium? ) Marschall Piłsudski griff das Konzept Mitte der 1920er Jahre als Międzymorze wieder auf, auch das wurde mit der vierten Teilung Polens obsolet. Der Eiserne Vorhang war im Grunde die Realisierung des Międzymorze, allerdings anders, als Piłsudski sich das dachte, nämlich mit der Grenze im Westen statt im Osten. Doch kaum, dass sich der Vorhang ab 1988 zaghaft hob, ließ der Westen nichts unversucht, ihn wieder herunterzuzerren - beginnend mit dem Project Hammer. Stratfor schrieb dazu: "What the public record suggests is that with the beginning of the first Bush Presidency in 1989, George H.W. Bush initiated a programme of covert economic warfare to bring about the collapse of the Soviet Union. The name of this programme appears to be Project Hammer - a multi-billion dollar covert operation, whose investments remain shielded. There is reason to believe that the plan was initially formulated by Reagan's CIA Director, William Casey. Many of the programme operatives were probably engaged through official CIA and National Security channels." (Es gibt eine, auch dieses CIA-Projekt betreffende Veröffentlichung eines riesigen Satzes Stratfor-Mails, ich bin dabei, mich durch diesen Wust zu graben, siehe auch hier: Wikipedia: Stratfor email leak.

Ende der 1990er, Anfang der 2000er sah es eine Weile so aus, als wäre eine Kooperation mit der Russländischen Föderation seitens des Westens gewünscht. Es wurde 1994 die Partnership for Peace begründet und 2002 zum NATO-Russia Council erweitert, Russland wurde 1996 in den Europarat aufgenommen und Putin sprach am 25.09.2001 im Deutschen Bundestag - man klatschte artig. (Video, >a class="slimlink" href="https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/gastredner/putin/putin_wort-244966" target="_blank">Transkript) Doch am 1. Mai 2004 begann Fünfte Erweiterung der NATO, parallel zur EU-Erweiterung am selben Tag. Mittlerweile ist die NATO-Osterweiterung so weit fortgeschritten, dass sie die Grenzen von Piłsudskis Międzymorze übertrifft (weil er die Türkei nicht auf dem Plan hatte). Man versuchte Russland hinzuhalten und gleichzeitig das Intermarium-Projekt durchzuziehen, wobei die meisten Beteiligten es in ihrer Geschichtsblindheit vermutlich nicht einmal hätten so benennen können. Mittlerweile liegen alle potentiellen Kooperationen mehr (NATO-Russia Council) oder weniger (Europarat) auf Eis und aus G8 wurde G7.

Natürlich ist Politik im Lauf der Historie immer auch das Ergebnis von Dynamiken aus Unwägbarkeiten und wechselseitigen Abhängigkeiten. Das heißt aber nicht - schließlich hat der Herr uns ein Gehirn und einen Willen gegeben -, dass man sich diesen Dynamiken, insbesondere an neuralgischen Punkten, nicht entziehen oder verweigern kann, denn es sind eben keine Gesetzmäßigkeiten, sondern menschengemachte Prozesse. Richard Nixon hat das wie kein zweiter US-Präsident vor und nach ihm bewiesen. Er unterstützte Willy Brandts Ostpolitik und war der erste US-Präsident, der Staatsbesuche in China (ab 21.02.1972) und der Sowjetunion (ab 22.05.1972) absolvierte. Er war der Architekt der Entspannungspolitik, am 25.05.1972 unterzeichnete er in Moskau SALT I, am 28.05.1972 folgte die Unterzeichnung des ABM-Vertrages, sein Nachfolger Gerald Ford hat diese Politik weitergeführt. Nixon tat das nicht, weil er über Nacht zum Friedensengel geworden wäre, sondern aus Pragmatismus heraus. Heute entblödet sich der US-Außenminister Mike Pompeo nicht, in einer Rede am 23.07.2020 Nixons China-Politik als fundamentalen Fehler zu brandmarken - ausgerechnet vor der Richard Nixon Presidential Library.

Man kann das alles inklusive der in meinen Texte erörterten Sachverhalte mit einem Schulterzucken oder mit einem "So what? Ist halt so." quittieren. Ja, kann man machen und die meisten halten das auch so, ist ja schließlich not their cup of tea (was sich freilich als Irrtum erweisen kann). Man kann aber auch Partei ergreifen oder - mehr noch - Stellung beziehen. Genau das tue ich, und zwar Letzteres sowohl in der übertragenen als auch der eigentlichen Bedeutung des Topos. Ich habe das nicht nur im Zweifelsfall immer so gehalten habe und werde es für den Rest meiner Tage so halten.