Große Wasserweihe - Orthodoxie für Anfänger, Teil 2

Der erste Teil der kleinen Serie "Orthodoxie für Anfänger" widmete sich der Weihnachtszeit in Russland bis zum orthodoxen Weihnachtsfest, dieser Teil beschreibt den Abschluss der Feierlichkeiten. Am 19. Januar enden mit dem Праздник Крещения Господня, dem Fest der Taufe des Herrn, die Святки (Swjatki), die Heiligen Tage der russischen Orthodoxie. Der religiöse Kontext ist die Epiphanie, mit (fast) derselben Bedeutung auch als Theophanie bekannt (und so insbesondere in der Theologie verwendet). Die Kirchen westlicher Provenienz feiern den Tag am 6. Januar entweder als Dreikönigstag, der in katholischen Bundesländern ein Feiertag ist, oder als Epiphaniasfest in den meisten protestantischen resp. evangelischen Kirchen, dort aber nicht als Hochfest.

In Russland wird der Tag - beginnend in der Nacht vom 18. zum 19. Januar - dem julianischen Kalender folgend als Fest der Taufe des Herrn am 19. Januar gefeiert, was dem 6. Januar nach gregorianischem Kalender entspricht. Die unterschiedlichen Namen der Feste ergeben sich aus der unterschiedlichen Gewichtung der in den Evangelien überlieferten Ereignisse.
Für Leser, die weniger bibelfest und nicht allzu bewandert in Theologie sind, hier eine kurze Erklärung. Der Begriff Epiphanie leitet sich vom altgriechischen epipháneïa ab, was Erscheinung heißt, der nicht ganz korrekt oft synonym verwendete Begriff Theophanie ist durch die Erweiterung mit dem altgriechisch theos, also Gott, quasi vollständiger, denn aus theologischer Sicht ist die Theophanie "als Selbstoffenbarung Gottes in der Natur und der menschlichen Vernunft, genauer gesagt: in der Außen- und der Innenwelt" zu verstehen (Wikipedia) Es geht also um das Offenbarwerden - das "Erscheinen" - Gottes in der Welt. Allerdings bezieht sich der Begriff nicht nur auf das Christentum, auch in anderen Religionen gibt es, wenn auch nicht so genannt, die Theophanie. Das wohl älteste überlieferte Ereignis dieser Art wird im Gilgamesch-Epos in Gestalt der Erscheinung der Siduri als weise Ratgeberin geschildert, in der griechischen Mythologie gibt es etliche Theophanien, zum Beispiel in der Selbstoffenbarung des Zeus in seiner wahren Gestalt, auch im hinduistischen Bhagavad Gita werden solche erzählt. [1 Hinweise]
Die Epiphanie ist in diesem Sinne als die wichtigste christlich neutestamentarische Variante der Theophanie zu sehen und sie manifestiert sich für die Christenheit in drei Ereignissen. Diese sind die Anbetung des Jesuskindes durch die drei Weisen aus dem Morgenland in Betlehem in Bezug auf Matthäus 2,1–12, Jesus' erstes Wunder nach Johannes 2,1–12, nämlich die Verwandlung von Wasser zu Wein bei der Hochzeit zu Kana, und die Taufe Jesu im Jordan durch Johannes den Täufer, wie es in Lukas 3,22–23 zu lesen ist. [2 Hinweise]

Ich habe (noch) nicht herausfinden können, warum das - historisch gesehen - so ist, aber während die Kirchen westlicher Provenienz in der Anbetung des Jesuskindes durch die drei Weisen den wichtigsten Aspekt sehen, daher Dreikönigsfest, ist für die Orthodoxie ausschließlich die Taufe Jesu von Bedeutung. Fester und für die Gläubigen wohl wichtigster Bestandteil der Feierlichkeiten ist die Великое освящение воды, die Große Wasserweihe, eine Zeremonie, die seit dem vierten Jahrhundert bezeugt ist und vermutlich von Jerusalem über Konstantinopel nach Osteuropa kam.
Dieser Ritus findet in aller Regel im Anschluss an einen großen Festgottesdienst statt. Die Gemeinde geht mit Prozessionsfahnen zum Fluss, See oder, sofern in der Nähe, zum Meer. Der Priester und seine Gehilfen nehmen die Festtags-Ikone, das Weihe-Kreuz und das Evangeliar - das ist der vollständige Text der vier Evangelien (Tetraevangeliar) in der ursprünglichen Textfolge - sowie das Analogion mit. Das ist ein, in den östliche orthodoxen und katholischen Kirchen verbreitetes Pult, auf dem im Kirchenschiff Ikonen oder das Evangelium zur Verehrung ausgelegt werden, es wird während der Gottesdienste auch als Lesepult für liturgische Bücher genutzt.

In den vorangegangenen zwei, drei Tage wurde in die Eisdecke des Flusses oder Sees ein "Jordan" genanntes Loch in der Form des orthodoxen Kreuzes geschlagen, was oft aufwendig mit Eisskulpturen und Tannenzweigen geschmückt ist. Am unteren Ende des Kreuzes ist ein leiter- oder treppenartiger Einstieg aus Holz. Ist die Eisdecke nicht dick genug oder nicht hinreichend tragfähig, wird nur ein Rechteck ins Eis geschlagen und am Uferrand wird ein Podest mit Leiter oder Treppe zum Einstieg aufgestellt.
Der Priester legt das Kreuz und das Evangeliar auf das Analogion, Kerzen werden an die Gläubigen verteilt und angezündet, natürlich darf auch Weihrauch nicht fehlen. Nach einer für orthodoxe Verhältnisse kurzen Liturgie spricht der Priester ein großes Segensgebet und taucht das Kreuz drei Mal in das Wasser ein, womit er nicht allein dieses Wasser, sondern durch das Wasser die gesamte Schöpfung segnet. Der orthodoxen Glaubenslehre zufolge wurde durch die Taufe Jesu im Jordan das Wasser dieses und jedes anderen Flusses weltweit gesegnet, weswegen mit der Großen Wasserweihe die ganze Natur und die Schöpfung geweiht werden und womit die Große Wasserweihe den orthodoxen Christen auch Ermahnung zum Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung sein soll. Danach steigen die Gläubigen - manche springen auch hinein - ins Wasser und tauchen nach vorherigem Bekreuzigen drei Mal unter, wobei die meisten sich vor jedem Untertauchen bekreuzigen. Das dreifache Eintauchen des Kreuzes und das dreifache Bekreuzigen und Eintauchen der Gläubigen bezieht sich auf die Dreieinigkeit Gottes.

Große Wasserweihe in Russland - Mentopia.net


Schöne Bilder bei Russia Beyond the Headlines https://de.rbth.com/lifestyle/84469-taufe-des-herrn...

Weil ich gerade dabei bin - in der Orthodoxie bekreuzigt sich man deutlich anders als im Katholizismus. Während man sich dort mit den Fingern der rechten Hand (für Linkshänder ist auch die linke erlaubt) in der Reihenfolge Stirn - Brustbein - linke Schulter - rechte Schulter bekreuzigt, werden in der Orthodoxie nur Zeige- und Mittelfinger sowie der Daumen der rechten Hand - und nur der - aneinandergelegt, was die Dreieinigkeit Gottes ausdrücken resp. verinnerlichen soll. Ring- und kleiner Finger werden in die Handfläche gelegt, was die zwei Naturen in Christus, nämlich als den wahren Sohn Gottes und den wahren Menschen, versinnbildlichen soll. Es wird sich in der Reihenfolge Stirn - Bauch - Brustkorb rechts - Brustkorb links bekreuzigt. Der Grund für diesen Unterschied ist die orthodoxe Auffassung, dass der Gläubige den vom Priester gespendeten Segen quasi übernimmt und sich nicht selbst segnet, denn der Priester segnet die Gemeinde von links nach rechts und der Gläubige, der ihm gegenübersteht, übernimmt den Segen, indem er sich sozusagen spiegelbildlich von rechts nach links bekreuzigt. [3 Hinweise]

Man muss schon sehr fest im Glauben sein, um die Große Wasserweihe zu überstehen oder überhaupt erst die Teilnahme an selbiger zu erwägen. Im Jahr 2021 machen die Umstände das Ritual nicht einfacher, und zwar nicht nur die pandemisch bedingten, sondern auch die meteorologischen - es ist in diesem Winter besonders kalt in der Föderation. Derzeit liegen die Temperaturen - jeweils am 19.Januar um 20:00 Uhr UTC - in Moskau bei -14 °C, in Tjumen und Kasan bei -19 °C, in Norilsk bei -35 °C und in Jakutsk bei unglaublichen -52 °C. In Moskau besuchen jedes Jahr rund 150.000 Menschen die feierlichen Gottesdienste am Vorabend, 36.000 nehmen an den nächtlichen Gottesdiensten teil. Danach sorgen rund 3.000 Polizisten sowie Rettungsteams des Zivilschutzes an 15 eingerichteten Badestellen in der russischen Hauptstadt für die Sicherheit der Gläubigen. (Wikipedia)

Für die Малое освящение воды, die Kleine Wasserweihe, nehmen die Gläubigen gesegnetes Wasser in mitgebrachten Gefäßen mit nach Hause, mit dem sie ihre Häuser oder Wohnungen, die Haustiere und ihnen wichtiges Hab und Gut segnen. Das Wasser soll der Überlieferung zufolge selbst über ein Jahr hinweg nicht verderben - sofern es neben der Haus-Ikone steht. Es wird in großer Not, bei schwerer Krankheit oder großer Angst zum Besprenkeln und auch zum Trinken benutzt. Ich vermute, der Grund für die tiefe Verwurzelung dieser Bräuche und Riten im russischen Volksglauben ist nicht zuletzt darin zu finden, dass die Geschichte des Russischen Reiches nicht eben arm an solchen, von Not und Angst geprägten Ereignissen ist. Freilich wird das Wasser für die Kleine Wasserweihe nicht, wie es lange Zeit üblich war, den Flüssen und Seen entnommen, sondern die Gläubigen bringen - wie auf dem Bild unten links zu sehen - Trinkwasser in allen verfügbaren Gefäßen von Kannen und Töpfen bis zu Flaschen mit, das am Ende der Zeremonie von den Priestern geweiht wird.

Natürlich bedarf eine solche Festivität einer behördlichen Regelung, deshalb - und weil ich sie irgendwie putzig finde - zitiere ich die offiziellen Regeln des russischen Notfallministeriums für die Великое освящение воды.

»Liebe Bürgerinnen und Bürger, vergessen Sie beim Taufbaden nicht, auf die einfachen Regeln zu achten, um Unglücksfälle zu vermeiden!

  1. Wählen Sie nur offiziell eingerichtete Stellen, an denen Rettungsschwimmer und Sanitäter im Einsatz sind. Sie sollten nur in speziell ausgestatteten Eislöchern in Ufernähe tauchen oder schwimmen, vorzugsweise unter Aufsicht von Rettungskräften und anderen Fachleuten.
  2. Vor dem Schwimmen im Eisloch müssen Sie Ihren Körper durch Körperübungen und Joggen aufwärmen.
  3. Es ist notwendig, sich dem Eisloch in bequemen, rutschfesten und leicht ausziehbaren Schuhen zu nähern, um nicht das Feingefühl in den Füßen zu verlieren. Wenn Sie zum Eisloch gehen, denken Sie daran, dass der Weg rutschig sein kann. Gehen Sie langsam und vorsichtig.
  4. Es ist besser, nur bis zum Hals ins Wasser einzutauchen, ohne den Kopf nass zu machen, um eine reflexartige Verengung der Blutgefäße im Gehirn zu vermeiden.
  5. Tauchen Sie niemals mit dem Kopf voran in das Eisloch. Es wird nicht empfohlen, ins Wasser zu springen und kopfüber zu tauchen, da dies den Temperaturverlust erhöht und zu einem Kälteschock führen kann.
  6. Es ist unerwünscht, länger als eine Minute im Eisloch zu bleiben, um eine allgemeine Unterkühlung des Körpers zu vermeiden.
  7. Wenn Sie ein Kind dabeihaben, behalten Sie es im Auge, während es in das Eisloch eintaucht.
  8. Nach dem Baden (Eintauchen) reiben Sie das Kind und sich mit einem Frotteehandtuch ab und ziehen Sie trockene Kleidung an.
  9. Um das Immunsystem zu stärken und eine Unterkühlung zu vermeiden, sollten Sie heißen Tee trinken, am besten aus Beeren oder Früchten.
  10. Alkohol und Zigaretten sind vor dem Baden verboten! Es ist auch dringend davon abgeraten, auf nüchternen Magen oder unmittelbar nach dem Essen zu baden.
Ärzte warnen Menschen mit Bluthochdruck, Rheuma, Arteriosklerose oder Tuberkulose davor, am Tag der Taufe des Herrn zu baden. Auch bei anderen akuten chronischen Erkrankungen ist das Baden am Tag der Taufe des Herrn nicht erlaubt!«
[4 Quelle]

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Fußnoten und Quellen


[2] Ich bevorzuge wegen der - im Vergleich zu anderen Übersetzung wie der Luherbibel - weitgehend unverfälschten und ausgangstextorientierten sowie mit möglichst wenig theologischer Interpretationen versehenen Übersetzung die Elberfelder Bibel. Wer andere Präferenzen hat, kann oben im Menü der hier verlinkten Passagen eine andere Übersetzung wählen.
Matthäus 2 https://www.bibleserver.com/ELB/Matthäus2
Johannes 2 https://www.bibleserver.com/ELB/Johannes2
Lukas 3 https://www.bibleserver.com/ELB/Lukas3
Wikipedia: Elberfelder Bibel https://de.wikipedia.org/wiki/Elberfelder_Bibel

[3] Bekreuzigen - die Unterschiede:
Orthodox bekreuzigen http://pfarre.rugraz.net/index.php...
Katholisch bekreuzigen https://de.wikihow.com/Sich-bekreuzigen

[4] Russland.news: Eisbad in Rrussland http://www.russland.news/traditionelles-eisbad...

Bildquellen

https://rg.ru/2019/01/19/sviataia-voda...
https://rg.ru/2019/01/17/reg-pfo...
https://borbagazeta.ru/2020/01/14/svyataya-voda...