T-34 - eine Filmbesprechung, die zu einem militärhistorischen Exkurs geraten ist

Der Film lief unter am 16.04.2021 ab 22:35 Uhr dem Titel "T-34 - Das Duell" auf RTL2. Ich bin eigentlich kein Freund von Kriegsfilmen gleich welchen Ursprungslandes und gleichgültig, welchen Krieg sie thematisieren. Ausnahmen sind Stanley Kubricks "Full Metal Jacket" und Francis Ford Coppolas "Apocalypse Now". Aber T-34, obwohl ein Kriegsfilm gleichwohl von ganz anderer Intention und Machart als diese beiden Filme, hat mich begeistert.

Zur Story - der sowjetische Unterleutnant Nikolai Iwuschkin, dargestellt von Alexander Andrejewitsch Petrow, gerät 1941 nach einem verlorenen Panzerduell gegen SS-Hauptsturmführer Klaus Jäger, erstaunlich gut dargestellt von Vinzenz Kiefer, in deutsche Kriegsgefangenschaft. Drei Jahre später erhält der mittlerweile zum Standartenführer beförderte Jäger von Guderian und Himmler den Auftrag, eine Mannschaft sowjetischer Panzersoldaten aus Kriegsgefangenenlagern zusammenzustellen und mit erbeuteten T-34-Panzern Rekruten der 12. SS-Panzer-Division "Hitlerjugend" zu trainieren. Jäger findet in einem Lager zufällig Iwuschkin und bietet ihm den Job an. Als der ablehnt, verleiht Jäger seinem Angebot mit der Drohung Nachdruck, seine Dolmetscherin Anja Iwanowna Jarzewa, eine sowjetische Fremdarbeiterin, dargestellt von der ebenso guten wie bezaubernden Irina Starschenbaum, auf der Stelle zu erschießen. Iwuschkin willigt notgedrungen ein und sieht seine Chance zur Flucht, nachdem er und seine mittlerweile von ihm ausgesuchte Mannschaft in dem Beutepanzer unter den schon verwesenden Leichen der sowjetischen Panzerbesatzung sechs unversehrte Granaten findet. Iwuschkin und seine Männer wagen den Coup bei passender Gelegenheit, natürlich nehmen sie Anja mit, was dann zum zweiten Duell zwischen Iwuschkin und Jäger führt. Irina Starschenbaum und Alexander Andrejewitsch Petrow sollten Freunden russischer Filme als die Hauptdarsteller als Julia Lebedewa und Artjom aus dem exzellenten SciFi-Filmen Artjom "Attraction" (Притяжение) und "Attraction 2 - Invasion" (Вторжение) bekannt sein.
Instagram-Account von Irina https://www.instagram.com/starshenbaum/

Was macht den Film so besonders? Kurz - es sind die Details. Ausführlicher:
1.) Er ist einer der wenigen WKII-Filme, der die Deutschen nicht von vornherein und durchweg als Idioten darstellt. Im Gegenteil - Jäger ist aufmerksam und handelt umsichtig und kühl kalkulierend.

2.) Es wäre unangebracht, für diesen, als Vernichtungskrieg angelegten und seitens der Wehrmacht und der Waffen-SS so ausgetragenen Krieg den Aspekt der Ritterlichkeit zu erörtern. Um so erstaunlicher finde ich, dass im zweiten Duell (ab 1:50:00) in drei Szenen dieser Aspekt explizit dargestellt wird. In der ersten Szene dieser Art wirft der in der Turmluke stehende Jäger dem vielleicht 50 Meter entfernt stehenden Iwuschkin den Fehdehandschuh zu bzw. vor den Panzer (ab 2:03:00), eine Geste der formellen, ehrenhaften Kampferklärung aus der Zeit Ritterschaft. In der zweiten diesbezüglichen, sofort auf den Wurf des Handschuhs folgenden Szene willigt Jäger in eine Kampfpause ein, damit Iwuschkins Männer den bei der Erkundung der Umgebung verletzten Richtschützen Woltschok bergen können.

Am verblüffendsten ist die dritte und zugleich letzte Duellszene (ab 2:07:00). Der T-34 hat den Panther, beide beschädigt, über die Mauer einer Brücke gedrängt. Jäger will sich aus dem in Kürze abstürzenden Panther retten, schafft es aber nicht und liegt, sich offenbar schwer verletzt an der Lüftung festhaltend, auf dem Panzer. Iwuschkin steigt mit einem Gewehr aus der Kommandantenluke des T-34 und zielt auf Jäger, der versucht, seine Pistole zu ziehen, was er aber unterlässt, weil Iwuschkin schneller ist. Jäger fordert Iwuschkin auf, ihn zu erschießen, was dieser aber nicht tut. Der Panther gerät langsam ins Rutschen und daraufhin reicht Jäger Iwuschkin mit ausgestreckten Arm die Hand, die Iwuschkin nach anfänglichem Zögern ergreift (ab 2:08:45). Der Zuschauer denkt zunächst, dass Iwuschkin Jäger nach oben ziehen, also retten will, während Jäger den Russen nach unten mit in die Tiefe ziehen will. Das bleibt für einige Sekunden ungewiss, dann wandelt sich Jägers schmerzverzerrtes Grinsen in einen fast zufriedenen Ausdruck, er schüttelt einmal kräftig Iwuschkins Hand - und lässt los und stürzt mit seinem Panzer in die Tiefe.

Ich habe eine Weile darüber nachgedacht, warum die Russen das in einem Film über den Großen Vaterländischen Krieg tun, bin aber zu keinem Ergebnis gekommen - außer vielleicht dem: Sind diese Szenen möglicherweise ein Signal für eine sich langsam ändernde Wahrnehmung und Rezeption des deutschen Soldaten als in einem mörderischen Konflikt gefesseltes Individuum? Ist der Film möglicherweise ein Zeichen des auf die Deutschen Zugehens, und zwar im Kontext des derzeit extrem schwierigen Verhältnisses zwischen Deutschland und der Russländischen Föderation? Ich weiß es nicht, diese Interpretation ist natürlich reine Spekulation, der Regisseur und Drehbuchautor des Films Alexeij Sidorow hat sich dazu nicht geäußert. Die russische Filmkritik hat diese Aspekte wahrgenommen, dazu unten mehr, die deutschen und westlichen Kritiker nicht.

3.)Der Film hat an mehreren Stellen humoristische Passagen einer speziell sowjetisch-russischen Art, die sich deutschen Zuschauern allerdings nicht erschließen. So versteht der im übernächsten Abschnitt erwähnte, den Film kommentierende und ansonsten kompetente Historiker den Humor schlicht nicht und interpretiert ihn als in einem russischen Kriegsfilm unerlässliche und zu erwartende prosowjetische Propaganda - das konkret am Beispiel zweier Szenen.

Szene 1 (0:27:45): Der Kommandant Nikolai Iwuschkin lobt seinen Fahrer nach einem gelungenen Manöver:
»Gute Arbeit, Stepan Saweljewitsch, danke für deinen Einsatz!«
Fahrer Stepan Wassiljonok antwortet:
»Wir dienen der Arbeiterklasse!«

Szene 2 (1:30:30): Der Panzer fährt auf den Markt des vogtländischen Städtchens Klingenthal (das es im Südwesten Sachsens tatsächlich gibt) und der Richtschütze Demjan Woltschok brüllt in den Lärm des Motors zu Iwuschkin:
»Genosse Kommandant, [...] erwarte den Befehl, die Stadt zu plündern!«
Daraufhin erwidert der Ladeschütze Serafim Ionow empört:
»Unsre Leute plündern nicht!«

Ist das Propaganda? Natürlich nicht, es ist eine besondere Form des Humors, die weder mit diesem Begriff noch mit solchen wie Spott, Ironie oder Satire hinreichend zu erklären ist. Sie heißt стёб (stjob) und hat sich in der Sowjetunion in einer Zeit zur regelrechten Kunstform entwickelt, als Satire und Ironie schnell als feindlich-negative Einstellung zur Sowjetmacht interpretiert wurde und in der man solche Witze besser unterließ, wenn einem an Freiheit und zeitweise auch am Leben lag. Passende Begriffe für den стёб sind subversive resp. negative Affirmation, affirmative Übercodierung oder Hyperaffirmation, das heißt, die Affirmation wird so inszeniert, dass für den Adressaten formal und inhaltlich nicht entscheidbar ist, ob sie ernst gemeint oder als Spott gedacht ist. Um es dem Zuschauer leichter zu machen, löst sich in beiden Szenen der стёб im nächsten Moment sofort auf - wenn man genauer hinschaut. In der ersten Szene verdreht Fahrer Wassiljonok die Augen nach oben, während er den Satz spricht, in der zweiten Szene wird der Einwand von Ladeschütze Ionow vorgebracht, einem liebenswerten Kerl von ausgesprochen schlichtem Gemüt - und eine Minute später tut die Panzerbesatzung genau das - sie plündert den Klingenthaler Markt.
Mehr zum Thema стёб hier: https://www.mentopia.net/musik/52-skapunk-urban-brass-leningrad#i04

4.) Gleichwohl der Film in visuellen Effekten, Computer Generated Imagery (CGI) und Bullet-Time-Perspektiven geradezu schwelgt, sind die technischen Aspekte sehr exakt dargestellt und zeitlich-historisch durchweg und militärtechnisch bis auf zwei, drei kleine Fehler korrekt, obwohl die deutschen Panzer keine Originale, sondern Repliken sind - die T-34 sind originale Panzer. Es wurde genau darauf geachtet, welche Modelle im ersten Duell Ende 1941 und zweiten Modell im Herbst 1944 im Einsatz waren, und zwar im ersten Duell der T-34/76 mit einer 76,2-mm-Kanone und der Panzerkampfwagen III Ausführung J (ab 0:14:00) mit 50-mm-Kanone sowie im zweiten Duell der T-34/85 mit einer 85-mm-Kanone und der Panzerkampfwagen V Panther mit der 7,5-cm-KwK 42 (Kampfwagenkanone, ab 1:49:15). Für Kriegsfilme ungewöhnlich ist auch das korrekte Sichtfeld beim Blick durch die Zieleinrichtungen, wobei sogar die Änderungen bei den jeweils zwei Panzertypen berücksichtigt wurden. Üblicherweise wird da ein Fadenkreuz gezeigt, das es so in praktisch keinem Sichtgerät jener Zeit gab. Diskutiert wurde im Internet die Plausibilität eines Infrarot-Nachtsichtgerätes auf dem Kommandantenturm des Panzerkampfwagen V Panther im zweiten Duell. Es handelt sich dabei um ein offenkundig originales FG 1250 (Fahrgerät), dessen Entwicklung Anfang 1941 bei der Carl Zeiss AG in Jena begann. Ende 1943 fanden erste Tests mit diesem Gerät auf dem Panther statt. Zwar wurden insgesamt nur sehr wenige Geräte an die Kampfverbände ausgeliefert, aber in der Ausbildung am Panther auf den Heimattruppenübungsplätzen wurde das FG 1250 in größerem Umfang eingesetzt - und das ist genau das Szenario im Mittelteil des Films vor dem zweiten Duell. Iwuschkin bricht mit seiner Truppe und dem T-34/85 von einem Übungsgelände durch und wird von Jäger mit einem kleinen Verband Trainings-Panther verfolgt, womit der Einsatz des FG 1250 im Film absolut plausibel ist.
Das Bemühen um Exaktheit in den technischen Details findet sich auch in den übrigen Aspekten des Filmes. Sowohl die jeweilige Kommandosprache als auch die sowjetischen und die deutschen Uniformen sind korrekt, es wurde sogar nach Jägers Beförderung zum Standartenführer an die historisch richtigen Schulterstücke und Kragenspiegel gedacht.

Der Film wurde ausgiebig in zwei Videos von insgesamt 55 Minuten Länge von einem Spieleentwickler und nunmehrigen Junghistoriker kommentiert, der auch als militärhistorischer Berater für Museen und Medienproduktionen tätig ist. Zwar hat er verschiedene inhaltliche Aspekte - insbesondere die стёб - nicht verstanden, in technischer Hinsicht ist seine Kommentierung sehr ausführlich und kompetent.

  • Historiker kommentiert T34, 2. Teil https://www.youtube.com/watch?v=gz2DK5cFSoA
  • Historiker kommentiert T34, 1. Teil https://www.youtube.com/watch?v=03kyGuER8H0 Update 04.02.2022: Der erste Teil ist in Deutschland aus urheberrechtlichen Gründen leider nicht mehr verfügbar und kann allenfalls via VPN oder Tor gesehen werden.
T-34 Das Duell Filmbesprechung - Mentopia.net T-34 Das Duell Filmbesprechung - Mentopia.net

An zwei Punkten muss ich ihm aber widersprechen. Im ersten Duell gibt es eine Szene, in der eine russischen Granate einen Turm durchschlägt und in einen zweiten Panzer einschlägt. Der Kommentator hält das auf diese kurze Distanz theoretisch für möglich, wenn auch in der Praxis für unwahrscheinlich, ich halte es für unmöglich. Das mag mit moderner Uranmunition funktionieren, mit den seinerzeitigen sowjetischen Hohlladungsgranaten definitiv nicht, die setzten den kumulativen Metallstrahl, auch Nadel genannt, sofort beim ersten Aufschlag frei und waren somit "ausgebrannt".

Der zweite Punkt betrifft einen "Aufsetzer", den der T-34 dem Panther vorn unter den Panzer setzt. Das heißt, die Granate wird so abgefeuert, dass sie auf dem Boden aufschlägt, abprallt und danach zeitverzögert detoniert. Der Kommentator stellt einerseits fest, dass so ein Aufsetzer mit Glück und Erfahrung zu schaffen ist, was richtig ist, dass aber die von Iwuschkin vor dem Abfeuern der Splittergranate befohlene Einstellung der Zeitverzögerung im Zünder nicht möglich gewesen wäre, weil die Granatzünder werksseitig fest eingestellt waren. Das ist Blödsinn, im T-34/85 kam 1944 die für Kaliber 85 standardisierte Munition in der patronierten Variante zum Einsatz, die - patroniert oder mit separater Treibladungskartusche - mit verschiedenen Zündern aus allen Rohren dieses Kalibers abgefeuert wurde, egal ob Kanone, Flugabwehrkanone, Jagdpanzer oder Kampfpanzer der Roten Armee. Konkret geht es hier um die Splittersprenggranate O-365K mit dem Zünder KTM-1, wie auf der Abbildung zu sehen, später wurden auch KTM-3 oder V-429 als Zünder eingesetzt, die Wirkungsweise blieb aber dieselbe.
Standardmäßig waren diese Granaten als Splittergranaten eingestellt, das heißt, sie detonierten sofort beim Aufschlag. Die Zünderschutzkappe wurde abgeschraubt und mit einem kleinen Vierkantschlüssel wurde der Zünder durch die Vierteldrehung eines Stifts in einer kleinen Öffnung im oberen Teil des Zünders potentiell scharfgestellt. Mit - je nach Typ - einer Halb- oder Ganzdrehung wurde die Granate auf Sprengwirkung eingestellt. Damit wurde eine Zeitverzögerung von drei bis fünf Sekunden erreicht, während der sich die Zündkapsel über einen Umweg statt auf direktem Weg zum Schlagstück durchbrannte, das die Sprengkapsel und die ihrerseits den Detonator zündete. Die in dieser Szene dargestellte Situation wäre also durchaus möglich gewesen und wir haben das seinerzeit in der NVA mit unseren 122-mm-Haubitzen M-30/H-38 auch geübt. Allerdings haben es die wenigsten Geschützführer und Richtkanoniere auch geschafft.

Ich habe an dieser Stelle einen anderen Kritikpunkt anzubringen. Mir erscheint sowohl im ersten als auch im zweiten Duell hin und wieder die Distanz zwischen den sich beschießenden Panzern zu kurz, als dass die Granaten - zumindest die des T-34 - wirklich hätten scharf sein können. Zu jener Zeit bis Mitte der 1950er Jahre hatten die Panzer (und Geschütze) in aller Regel gezogene Rohre. Diese Rohre haben, wie auf der Abbildung zu sehen, sogenannte Felder und Züge, das heißt, der Innendurchmesser des Rohres in den Feldern ist minimal kleiner als das auf dem Bild gut zu erkennenden Führungsband des Geschosses. Durch dieses Überkaliber presst dieses sich in die Züge und das Geschoss bekommt nach dem Abfeuern von ihnen einen stabilisierenden Drall durch die Drehung der Granate um die eigene Achse, was allerdings zu Lasten der Geschwindigkeit und damit der Durchschlagskraft und - sofern die Granate verkanntet angesetzt wurde, was das typische Jaulen im Flug verursachte - der Zielgenauigkeit ging. Interessant ist hier jedoch folgende Tatsache. Erst der Drall macht die Granate O-365K resp. ihren Zünder tatsächlich scharf, je nach Typ des Zünders und Mündungsgeschwindigkeit nach etwa dreißig bis fünfzig Metern Flug. Das geschieht, indem eine kleine Kugel, die im unscharfen oder potentiell scharfen Zustand den Schlagbolzen blockiert, durch die Zentrifugalkraft nach außen gedrückt wird und den Bolzen freigibt. Mir erscheint im Film hin und wieder die erforderliche Distanz zwischen den Panzern zu gering, um das zu erreichen.

Der Film wurde am 24.21.2020 mit dem Золотой орёл (Goldener Adler), dem russischen Pendant zum Oscar, in den Kategorien Regie, Drehbuch und visuelle Effekte ausgezeichnet und er wurde von der russischen Kritik mehrheitlich freundlich aufgenommen. So lobt der bekannte Kritiker Anton Dolin in einem Artikel bei Meduza, »dass der Film über den Großen Vaterländischen Krieg erfolgreich ohne patriotische Propaganda [...] und ohne Schmerz und Bitterkeit« auskommt. (Was aber von einigen wenigen Stimmen auch kritisiert wurde.) Larisa Maljukowa, Kolumnistin der Novaja Gaseta, lobt, dass der Film William Faulkners Diktum, dass man nicht wirklich als Sieger aus einem Krieg kommen könne, transportiere und hebt die Darstellung Jägers hervor als ebenso grausamen wie intelligenten Feind statt, wie sonst üblich, als reinen Idioten. [1 Anmerkung]

Natürlich wurde genau das in Russland auch kritisiert, so vom sehr populären Videoblogger und Kolumnisten für verschiedene Journale Jewgenij Baschenow. der als BadComedian einen YouTube-Kanal mit sieben Millionen Abonnenten und mehr als 1,2 Milliarden Aufrufen betreibt. In einem Video mit dem Titel "Притяжение нацистов" (Anziehungskraft, Attraktivität der Nazis) mit mittlerweile über 27 Millionen Aufrufen, das nach nunmehr zwei Jahren noch immer im Halbstundentakt kommentiert wird, gibt er seiner Meinung Ausdruck, der Film zeige die Situation in den deutschen Konzentrationslagern verharmlosend - was ein berechtigter Einwand ist - und rechtfertige den Nationalsozialismus, weil die Figur des Jäger als positiver Charakter gezeigt werde. Das ist falsch, der Film tut weder das eine noch das andere, Jäger wird eher als gebrochene Figur dargestellt. Baschenow meint, die Erinnerung an die Helden des Großen Vaterländischen Krieges werde eher beleidigt als verewigt. Auch das kann ich - gleichwohl aus einer anderen Perspektive als ein Russe, was in der Natur der Sache der seinerzeitigen Ereignisse liegt - nicht so sehen. T-34 ist zwar eine andere, aber eine berechtigte - und, wie ich finde, notwendige - Form der Darstellung des Großen Vaterländischen Krieges und seiner Helden auf sowjetischer Seite, als es die meisten bisherigen, sowjetischen und russischen Filme über diesen Krieg sind. [2 Quellen]

Ich denke, Baschenow - obwohl selbst erst im Mai 1991 geboren und damit noch jung - übersieht einen wesentlichen Punkt, denn es hat Gründe, dass der Film unideologisch und hin und wieder an das Computerspiel "World of Tanks" (WoT) erinnernd daherkommt. Der Klassiker dieser sowjetischen Filmgattung ist das fünfteilige, insgesamt 440 Minuten lange Monumentalepos "Освобождение" (Befreiung) aus dem Jahr 1969. Ich erinnere mich sehr gut, welchen Eindruck das Epos auf mich als Zwölfjährigen hinterließ, wir sahen uns 1970 die Filme schulklassenweise im für damalige Verhältnisse modernen und gut ausgestatteten Auer Kino an. Nur ist mittlerweile ein halbes Jahrhundert vergangen, ich hatte damals keine Idiotenlaterne als "Informations"-Quelle, sondern, durch die Filme dazu angeregt, Bücher wie "Die Blockade" und "Der Sieg" von Alexander Borissowitsch Tschakowski und die Romantrilogie "Die Lebenden und die Toten" von Konstantin Michailowitsch Simonow, die einen ebenso bleibenden Eindruck hinterließen.

Nun hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, in den elf Jahren in einer Schule als (der formalem Anstellung nach) Bibliothekar aus eigener Anschauung zu erleben, in welchem Umfang die Kids heute lesen, nämlich in einem de facto nicht wahrnehmbaren. Das ist in Russland (noch) nicht ganz so dramatisch, entwickelt sich tendenziell aber in dieselbe Richtung. Unter anderem daraus resultiert für die Russen ein Problem, begleitet von der Tatsache, dass es kaum noch Zeitzeugen und Kriegsteilnehmer gibt und dass deren Kindergeneration auch immer älter und damit kleiner wird, womit das Narrativ vom Großen Vaterländischen Krieg als sinnstiftende und sozial verbindende Erzählung zu verblassen droht. Das Narrativ ist, wie Wikipedia korrekt schreibt, keine Sammlung beliebiger Geschichten, sondern eine etablierte und legitimierte Erzählung, die großen Einfluss auf die Art und Weise hat, wie in einem sozialen Gefüge die Umwelt wahrgenommen wird - ein Narrativ transportiert Werte und Emotionen. Die außerordentliche Bedeutung dieses Narrativs in der Föderation, die im Westen kaum verstanden und oft als bloße und nur staatstragende Propaganda abgetan wird, erfordert eine neue Erzählweise und in diesem Kontext sehe ich T-34. Zwei Aspekte erscheinen mir hervorhebenswert - einerseits verschiebt sich das Augenmerk vom Großen Vaterländischen Krieg als Gemeinschaftsleistung der Menschen der UdSSR, wie sie zum Beispiel im Epos "Освобождение" dargestellt wird, auf die heldenhaften Einzelleistungen der Soldaten der Roten Armee. Mir fiel das schon beim Film "Битва за Севастополь" (Die Schlacht um Sewastopol, 2016) auf, in dessen Mittelpunkt - sich eng an die tatsächlichen Ereignisse haltend - der Kampf der Schützin Ljudmila Michailowna Pawlitschenko steht. Andererseits sind der actionhafte Stil und die teilweise szenische Anlehnung an WoT kein Zufall, sondern beides soll sicher absichtsvoll Jugendliche ansprechen, die für Epen wie das oben genannte und die Kriegsliteratur eher weniger zu begeistern sind. Ich halte - im Gegensatz zu Baschenow - das angesichts der Bedeutung des Narrativs für legitim.

Ich habe noch einen inhaltlichen Einwand anzubringen, gleichwohl ich verstehe, dass dieser Aspekt im Film ignoriert wurde. Eine derartige beziehungsweise noch spektakulärere Flucht seitens sowjetischer Soldaten aus der deutschen Kriegsgefangenschaft gab es tatsächlich - passend zu meinem Text hat RBTH einen Artikel über die Flucht sowjetischer Soldaten mit einer Heinkel He 111 aus einem Arbeitslager der Heeresversuchsanstalt bei Peenemünde veröffentlicht.
RBTH - Spektakuläre Flucht: https://de.rbth.com/geschichte/...mit-flugzeug-kz-entkam
Allerdings hält sich RBTH mit den Folgen der erfolgreichen Flucht des Leutnants Michail Petrowitsch Dewjatajew und seiner Männer nach Leningrad bedeckt. Die Männer in T-34 wären mitnichten in der UdSSR als Helden empfangen worden, im Gegenteil - man hätte sie zunächst der Kollaboration mit den und der Spionage für die Nazis verdächtigt, sie in die Obhut des NKWD bzw. der direkt Stalin unterstellten SMERSch (von Смерть шпионам, Tod den Spionen) überstellt und zunächst in eine Untersuchungshaftanstalt oder ein Lager verfrachtet. So erging es Leutnant Dewjatajew nach seiner Flucht, seine Männer wurden sofort zurück an die Front geschickt, und zwar an besonders verlustreiche Frontabschnitte. Nur drei von ihnen überlebten, sechs fielen im Kampf um Berlin. Die SMERSch zwar der Ansicht, dass eine Flucht ohne Kollaboration mit den Nazis unmöglich gewesen wäre. Außerdem wollte die SMERSch Details über die V2-Produktion wissen, die Dewjatajew aber nicht liefern konnte, weil die Kriegsgefangenen auf dem benachbarten Flugplatz für Hilfsarbeiten eingesetzt wurden und von der V2 nichts mitbekamen. Erst als Verhöre von Mitgefangenen und von Offizieren des Luftflottenkommandos 6, die um die Verfolgung der Heinkel He 111 durch deutsche Jäger wussten, ergaben, dass Dewjatajews Angaben stimmten, glaubte man ihm nun und entließ ihn. Allerdings musste er sich in den ersten Jahren als Hafenarbeiter in seiner Heimatstadt Kasan durchschlagen, erst 1957 wurde er endgültig von allen Verdächtigungen freigesprochen und rehabilitiert. Im August desselben Jahres wurde ihm der Titel "Held der Sowjetunion" verliehen. Was letztlich alles aber auch heißt, dass er mit der Verhaftung Glück hatte, denn sechs seiner mit ihm geflüchteten Kameraden überlebten den Krieg nicht. [3 Hinweise]

Schlussendlich noch ein Hinweis auf "Fury". In der westlichen Kritik - nicht in der russischen - wird der Film gerne mit dem im Oktober 2014 in die Kinos gekommenen Film "Fury" verglichen, der in Deutschland ab Januar 2015 unter dem knalldoofen Titel "Herz aus Stahl" vermarktet wurde. Der Film mit dem schwer zumutbaren, aber irgendwie unvermeidlichen, in diesem Film jedoch ganz und gar unerträglichen Brad Pitt als First Sergeant Don "Wardaddy" Collier - der tatsächlich so lautende Rollenname sagt eigentlich schon alles über den Film - in der Hauptrolle ist zwar dramaturgisch und in Kameraführung und Effekten gut gemacht, aber über weite Strecken schlicht Blödsinn. Sei es, dass "Fury" als Führungspanzer in der Marschkolonne seltsamerweise nicht beschossen wird, sei es, dass Brad "Wardaddy" Pit an einer kleinen Rauchwolke sofort eine 88-Kanone (gesprochen Achtacht) erkennt - geschenkt. (Wenn eine Marschkolonne von gepanzerten Fahrzeugen unter Beschuss gerät, werden immer zuerst das Führungsfahrzeug und danach das letzte Fahrzeug ausgeschaltet, damit der Rest dazwischen de facto nicht manövrierfähig ist.) Wirklich nervend ist der absolut humorbefreite und mit verbissenem Ernst - von dem Pit wohl glaubt, so sähe heiliger Ernst aus - permanent durch den Film trötende Hurra-Patriotismus à la "the land of the free and the home of the brave". DAS ist Ideologie, nicht das, was die Russen mit T-34 abliefern.
Interessant ist nur noch folgender Aspekt. Fury hatte Produktionskosten von 80 Millionen US-Dollar [4 Hinweis], T-34 von 10 Millionen US-Dollar. Das Box Office für Fury beläuft sich auf 212 Millionen US-Dollar, für T-34 auf 32 Millionen US-Dollar. Das heißt, dass T-34 im Verhältnis von Produktionskosten zu Einspielergebnis deutlich profitabler war.

Fußnoten, Anmerkungen und Quellen

[1] Faulkner meint damit die individuelle Kriegserfahrung des Soldaten als Folge seines Tuns, die zur irreparablen Beschädigung der Seele oder gar zu ihrem Verlust führt. Kurt Tucholsky brachte das auf die Formel: "Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder." (Der bewachte Kriegsschauplatz. Die Weltbühne. Jahrgang 27, Nummer 31. 04.08.1931)

[2] Антон Долин: Т-34 - без Сталина и идеологии https://meduza.io/feature/...-bez-stalina-i-ideologii
Лариса Малюкова: Главный герой Нового года - танк https://novayagazeta.ru/...novogo-goda-tank
BadComedian: Т-34 (Притяжение нацистов) https://www.youtube.com/watch?v=BKQlqjBDF8Q

[3] Michail Petrowitsch Dewjatajew bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Petrowitsch_Dewjatajew
Heinkel He 111 bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Heinkel_He_111
SMERSch bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/SMERSch

[4] Wikipedia gibt 68 Millionen USD an, ich vertraue aber eher den Angaben von Film L.A., "the official film office of the City and County of Los Angeles", hier aus dem Bericht für das Jahr 2014.
https://www.filmla.com/wp-content/uploads/2017/10/2014_FeatureFilm_study_v10_WEB.pdf