Der Fall "Glaser for Bundestagsvizepräsident", der Staat und die Religionsfreiheit

Da erdreisten sich die dummerweise in den Bundestag gewählten Islamhasserrassistennazis und quasi fleischgewordenen Inkarnationen all dessen, was es sonst noch Böses auf der Welt gibt, doch tatsächlich, unverschämterweise ihren Wunschkandidaten als Bundestagsvizepräsident durchsetzen zu wollen!

Aber da haben sie die Rechnung ohne die wackeren Demokraten gemacht, also ohne den Rest des Bundestages. Dass in diesem, für den Steuerzahler nicht ganz billigen Präsidium, in das die AfD in menschenverachtender Weise unbedingt den Glaser drücken will, mit Petra Pau eine gelernte Freundschaftspionierleiterin, Absolventin der Parteihochschule Karl Marx und gewesene Mitarbeiterin beim Zentralrat der FDJ sitzt - wen juckt‘s. Dass in diesem Präsidium mit Claudia Roth ein Sessel von einer, nun ja, Politikerin belegt ist, die ein - vorsichtig formuliert - merk- und denkwürdiges Bild vom dem Land pflegt, dessen Parlament sie vizevorsitzen soll - geschenkt. Hauptsache, der Alfred Glaser kommt da nicht hin. Niemals!

Als im Jahr 2005 der PDS-Kandidat Lothar Bisky durchfiel, kommentierte Bodo Ramelow, heute Ministerpräsident von Thüringen, die Haltung der PDS folgendermaßen: "Wir können nicht zulassen, dass andere uns diktieren, wer uns repräsentiert." Hätte der Gauland selbiges jüngst zum Fall Glaser geäußert, gälte dies fürderhin sicher als weiterer, unhintergehbarer Beweis seiner autoritär-antidemokratischen Gesinnung.

Doch genug des Sarkasmus, von all dem abgesehen ist der Begriff "Islamhasser" - als hätte man je in der Presse von "Christentumshassern" in Bezug z.B. auf Richard Dawkins, Karlheinz Deschner oder Eugen Drewermann gelesen, was ja auch völliger Blödsinn wäre -, nichts als ein denunziatorisches Schlagwort. Jenseits des ernstgemeinterweise in obigem Ton gehaltenen Medienechos war am 26. Oktober 2017 auf Zeit online ein guter, weil abwägender und sachlicher Artikel von Jochen Bittner zu lesen, und zwar der hier: https://www.zeit.de/...religionsfreiheit-islam-grundgesetz...
Allerdings stellt sich mir zu dieser Passage aus dem Fazit ... "Der Staat hat deshalb an dieser Stelle eine aktive und vorauseilende Schutzpflicht, sprich: Er hat darauf hinzuwirken, dass möglichst viele Muslime auch die (negative) Glaubensfreiheit anderer respektieren."
... zwei Fragen: Wenn der Staat es schon nicht schafft, die akuten Probleme der Integration der "noch nicht so lange hier Lebenden" (frei nach Merkel) von der Sprachförderung bis zur inneren Sicherheit auch nur ansatzweise zu meistern, wie soll er dann DAS schaffen? Wie soll ein Staat das schaffen, der zulässt, dass seine autochthonen Bürger ungestraft als "Köterrasse" bezeichnet werden dürfen, ein Staat, der sich mit Aydan Özoguz eine Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration im Amt einer Staatsministerin hält (oder evtl. hielt), die der Ansicht ist, eine spezifisch deutsche Kultur sei, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar, ein Staat der nicht in der Lage ist, einen Steinwurf von seinen Regierungsgebäuden entfernt die öffentliche Ordnung wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten, und das seit nunmehr zwei Jahren? Mit Verlaub, Herr Bittner, Sie sind naiv. Das ist die freundlichste der möglichen Annahmen.

Politisch gesehen ist Glasers Sicht der Dinge, um es freundlich zu formulieren, natürlich Unsinn, ebenso wie Göring-Eckardts Äußerung, Glaser erkenne das Grundgesetz nicht an, das ist Polemik, eine ziemlich dumme noch dazu. (Welch geistiger Verfassung muss man eigentlich sein, um "Göring" nach der Eheschließung im Namen führen und nach der Scheidung den Reichsmarschall und Reichsjägermeister als Namensvetter behalten zu wollen? Ist es schon Hassrede, wenn man die Frau Reichsforstmeister-Eckardt als Theologen-Groupie bezeichnet?) Glaser hat natürlich vollkommen recht, dass der Islam "die Religionsfreiheit nicht kennt und die sie nicht respektiert. Und die da, wo sie das Sagen hat, jede Art von Religionsfreiheit im Keim erstickt". Religionsfreiheit, die den Namen verdient, muss immer auch die Freiheit zur Apostasie und zur Konversion garantieren. Allerdings ist das nachgeschickte "wer so mit einem Grundrecht umgeht, dem muss man das Grundrecht entziehen" politischer Unsinn, denn Grundrechte werden Menschen in ihrer Eigenschaft als Individuen gewährt und nicht mentalen Konstrukten welcher Art auch immer, denen diese Menschen nachhängen.

Auch wenn das in der letzten Legislaturperiode nicht mehr Usus war, nachdem man sich parteiübergreifend entschloss, die kuschelig-konsensorientierte Grundstimmung der DDR-Volkskammer zu imitieren - natürlich hat man auf den Oppositionsbänken nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, Maximalforderungen zu formulieren. Aber die sollten nicht in politischen Irrwitz abgleiten. Warum sollte man beispielsweise dem alten türkischen Herrn und seiner Gattin, die im selben Haus wie ich wohnen, ihr Recht auf Religionsfreiheit entziehen? Das sind freundliche, arbeitsame Menschen, die ihre Religion in aller Stille leben und die im Übrigen in einigen Aspekten deutscher sind als mancher autochthone Deutsche, wenn man die berühmten deutschen Kardinaltugenden als Maßstab anlegt. Die Familie lebt mittlerweile in der dritten Generation in Deutschland und seine Kinder und Enkel sind in etwa so muslimisch, wie der deutsche Durchschnitts- bzw. Mehrheitsevangele evangelisch ist. Der alte Herr steht beispielhaft für viele Türken, die ich kenne, sie kamen seinerzeit aus einem laizistischen Staat, um hier zu arbeiten und en passant haben sich die allermeisten integriert und etliche sogar assimiliert.
Um diesbezüglichen Einwänden vorzubeugen - sicher gibt es in der zweiten und dritten Generation der Türken das, was ich Integrationsbrüche nennen würde und die nach meiner Erfahrung aus der medial als quasi Grund- und Menschenrecht vermittelten und in der Schule nicht aufgelösten, sondern eher verstärkten Differenz zwischen individuellen Ansprüchen - diese hauptsächlich materieller Natur - einerseits und den realen Möglichkeiten andererseits. Das Phänomen gibt es auch bei autochthonen Jugendlichen, nur käme da keiner auf die Idee, dieses als Integrationsproblem wahrzunehmen, weil diese Jugendlichen qua Geburt integriert sind beziehungsweise gefälligst zu sein haben.
Doch zurück zum Thema - würden die Konsequenzen aus Glasers Sicht der Dinge realisiert, brächte das gar nichts und hätte nur Leid und möglicherweise bürgerkriegsähnliche Zustände zur Folge. Anders sähe das sicher aus, wenn man das Problem "Religion" als solches ins Auge fasste.

An dieser Stelle bietet es sich an, das Grundgesetz zu zitieren. In Artikel 4 wird die Glaubens- und Gewissensfreiheit folgendermaßen definiert: "(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet." Der Artikel garantiert in Absatz 1 lediglich etwas, das sich sowieso nicht verbieten lässt und Absatz 2 schließt nicht per se das Recht zum Bau von Tempeln und die Einrichtung von Religionsschulen in Hinterhöfen oder sonstwo ein, zumal die drei abrahamitischen Buchreligionen in der Ausübung nichts benötigen als das jeweilige Buch und gegebenenfalls eine Gebetskette - zumindest, wenn man sie verstanden hat und es mit der Religiosität ernst meint. Wer sie aber als Ideologie versteht und als Politik praktiziert, der braucht Tempel und eine Priesterkaste. Das gilt für alle religiösen Konstrukte.

The greatest tragedy in mankind's entire history may be the hijacking of morality by religion.
Sir Arthur C. Clarke in Credo, 1991

Deshalb wäre in der jetzigen Situation und angesichts der künftig wahrscheinlichen Entwicklung die einzig angemessene Antwort die Trennung von Staat und Religion, eine echter und strenger Laizismus in Politik und Gesellschaft, hier sollte uns Mustafa Kemal Pascha, besser bekannt als Atatürk, ein Vorbild sein. Angesichts des - historisch und in der heutigen Situation betrachtet - multiplen Versagens der Kirchenfürsten der beiden christlichen Großreligionen in Deutschland, beispielsweise hier und hier, wäre das auch kein wirklicher Verlust und alle Ansprüche irgendeines, sich als Religion gerierenden Hirngespinstes an den Staat und die Gesellschaft wären vom Tisch.

Das Problem hinter dieser und anderen Debatten dieser Art ist die unauflöslich erscheinende, inhaltliche und strukturelle Verquickung von Glaube und Spiritualität mit Religion, meine Sicht der Dinge habe ich in einem anderen Kontext hier erörtert. Das Problemfeld erscheint eben wegen dieser Verquickung so kompliziert, aber im Grunde und bei Licht betrachtet ist das ganz einfach, und zwar so einfach, dass diese Frage in der Comedy-Fernsehserie "The Big Bang Theorie" in Episode 23 der 3. Staffel von Dr. Amy Farrah Fowler in einem Satz abgehandelt wurde: "Ich habe nichts gegen das Konzept eines Gottesglauben, mich verwirrt nur die Notwendigkeit einer Kirche dafür." (Deutsche Synchronisation, die Darstellerin Mayim Bialik ist tatsächlich Doktor in Neurowissenschaften und seit 2012 Spokesperson und Brand Ambassador für Texas Instruments.) Im Sinne von Clarke's oben zitierter Feststellung geht es darum, die Religionsfreiheit als Glaubensfreiheit neu zu definieren und in diesem Rahmen zu begrenzen. Es geht darum, die Möglichkeiten der Zusammenrottung von Gläubigen in sozialen Konstrukten - nichts anderes sind Religionen - zum Zwecke politisch-gesellschaftlicher Einflussname oder gar Dominanz zu minimieren. Damit wären auch die Fragen zu Apostasie und zur Konversion geklärt, weil es keine Instanz mehr gäbe, welche die Macht hätte, beides zu sanktionieren. Das schlösse, konkret auf Deutschland bezogen, wenigstens ein: Aufkündigung des Hitlerschen Reichskonkordats mit der Katholischen Kirche, Abschaffung der Finanzierung der Kirchendiener durch den Staat, also den Steuerzahler, (siehe hier, hier und hier), Abschaffung der Zwangseinziehung der Kirchensteuer durch den Staat, Abschaffung aller Sonderfinanzierungen der Religionsgemeinschaften aus Steuermitteln (Kirchentage usw.), Abschaffung des Sonderarbeitsrechts der Kirchen, ein allgemein gültiges Arbeitsrecht genügt, Abschaffung des Religionsunterrichts in allen Schulformen und -arten, auch in konfessionellen Schulen, stattdessen zusätzlicher Mathematik- oder Deutschunterricht.

Religionsgemeinschaften könnten und sollten Status eingetragener, nicht wirtschaftlicher Vereine haben. Wenn wir gerade dabei sind - das Vereinsrecht sollte grundsätzlich dahingehend reformiert werden, das jedwede staatliche Förderung und/oder Bezuschussung aller Vereine, gleich welcher Tätigkeit, selbstdefinierten Ziele oder politischen Orientierung, eingestellt wird. Gleichzeitig sollte die Transparenz der Eigenfinanzierung gewährleistet sein. Gemeinnützigkeit sollte nur Vereinen zuerkannt werden, die ohne parteipolitische, ideologische oder religiöse Bindung soziale Dienste im engeren Sinne erbringen.

Jeder mag glauben, was seine Befindlichkeiten und Konditionierungen ihm abverlangen, aber bitte leise und ohne den Mitmenschen auf die Nerven zu fallen, sei es mit Missionierungsgeschwätz oder mit angeblich religiös geforderter, aber regional extrem untypischer Kleidung. Dann würden endlich auch Agnostiker und Atheisten berücksichtigt und von den religiösen Albernheiten inklusive ihrer ästhetischen Zumutungen zumindest im öffentlichen Raum verschont. So einfach könnte das sein. Ist es aber nicht, denn das bräuchte einen breiten, gesellschaftlichen Konsens und den wüssten, sobald sich eine signifikante Tendenz der öffentlichen Meinung in diese Richtung zeigte, die Großkirchen zu verhindern. Schließlich geht es hier um Pfründen in Milliardenhöhe und um Macht über Köpfe und Herzen in Millionenhöhe.

Mir ist natürlich bewusst, dass viele Menschen glauben, die christlichen Großkirchen seien unerlässlich für das moralisch-sittliche Gemeinwohl und die in der irrigen Annahme, das sei aus der Kirchensteuer finanziert, das Werk von Diakonie und Caritas für unverzichtbar für das soziale Wohl der Gesellschaft halten. Dieser Eindruck ist das Resultat der gemeinschaftlichen Propaganda von Staat und Großkirchen, denn von der Verquickung von Staat und Religion glauben beide zu profitieren. Vordergründig betrachtet scheinen sie das auch zu tun, doch genauer betrachtet verlieren beide langfristig dabei. Der Staat macht sich - zumindest partiell - abhängig von dieser Konstellation und die Kirchen bezahlen ihr propagandistisches Engagement im Dienste staatlicher Interessen mit ihrer Glaubwürdigkeit. Sie sollten sich lieber auf ihre Kernkompetenz besinnen, die spirituelle Führung ihrer Gläubigen, und könnten mit der oben umrissenen Trennung von Staat und Religion längerfristig gesehen nur gewinnen.