Wie ein Interview zustande kommen kann - Eine kleine Nachbetrachtung

Als die AHA-Redaktion im Herbst 2007 beschloss, uns in einem Themenheft der Scientology Kirche zu widmen, war schnell klar, dass wir uns um möglichst repräsentative Gesprächspartner aus der Kirche bemühen und versuchen werden, sie für ein, zwei Interviews zu gewinnen, und zwar mit dem Ziel, dem Leser eine authentische Darstellung aus der Innenperspektive im Kontext unserer Darstellung präsentieren zu können.

Olaf trat mit der Hamburger Niederlassung der Scientology Kirche in Kontakt und fand dort in Herrn Busch einen kompetenten Ansprechpartner, der uns darüberhinaus versprach, einen Kontakt nach Berlin zu vermitteln. Meine Absicht war nämlich von vornherein, Frau Weber für ein Interview gewinnen zu können. Der durch Herrn Busch arrangierte Kontakt kam in Gestalt eines mehrstündigen Treffens mit einem Herrn A. auch zustande, wobei Herr A. mir neben allerhand Material aus erster Hand auch die Möglichkeit eines Interviews zusagte, wenn nicht mit Frau Weber, dann mit einem anderen hochrangigen Repräsentanten der Berliner Scientology Kirche. Nur war nach diesem Gespräch leider nichts mehr von Herrn A. zu vernehmen, weder kam das zugesagte Material noch kam ein weiterer Kontakt zustande. Trotz mehrmaliger Erinnerung per E-Mail und Zustellung von Nachrichten meinerseits durch verschiedene Mitarbeiter der Scientology Kirche, die ich in schöner Regelmäßigkeit auf dem Weg zur oder von der Arbeit am Infostand Alexanderplatz traf. Irgendwann schrieb ich den Kontakt dann in der festen Überzeugung ab, dass in dieser Sache das letzte Wort noch längst nicht gesprochen wurde.

So ging die Zeit ins Land und der Erscheinungstag nebst Redaktionsschluß rückten immer näher. Ich grub mich durch einige von Hubbards Büchern, was ich als ausgesprochen ermüdend empfand, und durch circa dreißig Seiten des als quasi epochal beworbenen Büchleins einer Hamburger Verwaltungsangestellten, das ich mit letzter Kraft in einem wenig frequentierten Winkel meiner Bücherregale verschwinden lassen konnte, und zwar in letzter Minute und höchster Gefahr, als die Lektüre des Büchleins drohte, mich in eine Art Wachkoma fallen zu lassen. Das war wirklich knapp, aber wie schon mein Vornamensvetter Gneisenau zu sagen pflegte: "Wer um Hohes kämpft, muss wagen. Leben gilt es oder Tod!" Genau!

Das war der Stand der Dinge am frühen Abend des 20. März 2008, einen Tag vor dem geplanten Erscheinungstermin der AHA - drei halbfertige Texte in den Computer getippselt und ohne Plan, wie das bis zum nächsten Tag noch irgendetwas werden soll. In dieser Situation surfte ich im Netz hin und her in der Hoffnung, dass mir eine Inspiration begegnet, als ich mich plötzlich auf der Webseite der Berliner Scientology Kirche wiederfand. "Ihr kommt mir jetzt genau richtig!" fuhr es mir - durchaus geneigt, den feinen Herrn A. ein wenig für mein Dilemma verantwortlich zu machen - durch den Kopf, "Euch Brüdern zeige ich jetzt mal, wo der Aiwass die Locken hat."

Gedacht, getan - ich schwang mich auf mein Fahrrad und gegen 19:30 Uhr traf ich vor der Berliner Niederlassung der Scientology Kirche ein. Auf dem Fußweg vor dem Haus patroullierte der obligatorische und offensichtlich unvermeidliche Mitarbeiter der Kirche, der ein wenig so wirkte, als sei er dafür abgestellt worden, den Besuchern, die sich auf der Suche nach der Tür verzweifelt an der Glasfassade des Hauses entlangtasten, beim Auffinden des Eingangs behilflich zu sein. In mir einen potentiellen Interessenten erblickend - was ja stimmte, wenn auch anders, als er annahm - kam er strahlend wie ein Honigkuchenpferd auf mich zu und fragte, ob er mir vielleicht einen Stresste... Nein, könne er nicht, ließ ich ihn wissen und klärte ihn kurz auf, dass ich alt genug sei, um meinen Stresspegel selbst einschätzen zu können - und der sei momentan unerfreulich hoch, woran seine Kirche nicht ganz unschuldig wäre -, und dass ich mir darüberhinaus meiner Fähigkeiten und insbesondere meiner Unfähigkeiten sehr wohl bewußt sei, und das in bezug auf letztere besser, als mir eigentlich lieb ist. Stattdessen könne er mir bei der Suche nach einem Gesprächspartner behilflich sein, der von den Belangen der Kirche wirklich Ahnung hat. Der junge Mann wirkte nach dem solcherart nachdrücklichen Kundtun meines Anliegens ein wenig verwirrt, flitzte aber überaus hilfsbereit und regelrecht beflissen ins Haus, um jemanden zu finden, der sich des mittlerweile im Foyer angekommenen, offensichtlich Schwerstaberrierten annimmt, bevor Glasbruch oder ein ähnliches Malheur zu beklagen ist. Nun ja, diejenigen unter den Lesern, die mich kennen, wissen, mit welch unwiderstehlichem Charme ich solche Auftritte zu absolvieren pflege.

Das Haus der Berliner Scientology Kirche selbst - Respekt! Die Gestaltung und die Einrichtung ist imposant und erweckt in der gelungenen Kombination von Lounge und Medienräumen den Eindruck einer außerordentlichen Wichtigkeit und Bedeutungsmacht, ohne den Besucher damit zu "erschlagen", wie das bei solcherart repräsentativen Räumen oft der Fall ist. Alles wirkt sehr sauber, licht und hell und ist - durchaus gelungen - offensichtlich als räumlich-visuelle Manifestation dessen angelegt, was der Besucher sich unter dem Topos "clear" vorstellen soll.

Ein ausgesprochen verwirrender Kontrapunkt zu dem Eindruck medialer Kompetenz, den die Präsentationsräume erwecken, ist die Tatsache, dass dort in den verschiedensten Publikationsformen ausschließlich Hubbard, Hubbard und noch einmal Hubbard zu finden ist, hier und da von Dreizeilern unterbrochen, die Scientologen als Statements auf den Bildschirmen in verschiedenen Videos darbieten. Doch das ist ein anderes Thema, dem ich mich zu gegebener Zeit in einem späteren Heft unseres Magazins widmen werde.

Nach etwa fünfminütiger Wartezeit stellte sich mir dann eine Frau vor, die ich wegen ihrer medialen Präsenz sofort als Frau Weber erkannte. Sie bat mich in ein kleines Konferenzzimmer direkt in der Gebäudeecke Cauerstraße und auf dem Weg dorthin dachte ich kurz darüber nach, was der scientologische Schwellenhüter wohl berichtet haben mag, das Frau Weber dazu brachte, sich persönlich meines Anliegens anzunehmen. Ich stellte dieses und mich selbst kurz vor und nach dem obligatorischen Visitenkartenaustausch - ich war so clever, mir kurz vor dem Aufbruch in Richtung Otto-Suhr-Allee noch schnell eine aus dem Logo unseres Magazins zu basteln - kamen wir ins Gespräch. Frau Weber erwies sich als sehr angenehme und sympathische Gesprächspartnerin, sie ist kompetent, kommt zügig auf den Punkt und kann auch zuhören. Sie ist natürlich von ihrer Religion überzeugt, wirkte aber nicht einen einzigen Augenblick missionierend oder gar eifernd auf mich, was übrigens auf alle Scientologen zutrifft, mit denen ich im Zuge der Recherche zu diesem Heft zu tun hatte.

Es waren aber auch schnell die Grenzen der Verständigung klar, sie wurden in dem nachgerade aversiven Unverständnis für jede Form von Spiritualität jenseits dessen, was die Scientology Kirche darunter versteht, am deutlichsten sichtbar. Aus dieser Perspektive heraus einigten wir uns auch einvernehmlich darauf, dass die Wendung "Meines Feindes Feind ist mein Freund" auf uns resp. das Verhältnis zwischen Scientology und der AHA in Hinsicht auf die Konklusion "mein Freund" nur sehr bedingt und in eng gesteckten Grenzen Anwendung finden kann, dass es aber nicht nur opportun ist, sondern sich auch substantiell als sinnvoll erweisen könnte, genauer zu ergründen, was uns verbindet und was uns trennt. In diesem Sinne erklärte sich Frau Weber dankenswerterweise bereit, mir einige Fragen in Form eines Fragebogens zu beantworten, was dann die oben wiedergegebene Korrespondenz ergab.

Auf einen bemerkenswerten Aspekt möchte ich explizit hinweisen. Die Beantwortung der Fragen nahm naturgemäß einige Zeit in Anspruch und wir entschlossen uns, das neue Heft zunächst ohne Frau Webers Interview zu publizieren, was wir am 02. April 2008 taten. Das Interview erhielt ich von Frau Weber am 11. April, was bedeutet, dass unser Heft mittlerweile neun Tage online war und Frau Weber Gelegenheit hatte, es zu lesen, was sie, wie ich einer E-Mail entnahm, auch tat. Ihr war also klar, dass unsere Sicht der Dinge, insbesondere auch auf einen der Gründungsmythen, alles andere als das ist, was der Scientology Kirche als ihrer Sache dienlich erscheint, mehr noch - erscheinen kann. Das tat der Kooperationsbereitschaft der Scientology Kirche, hier konkret durch Frau Weber vertreten, keinerlei Abbruch, obwohl sie jederzeit und problemlos aus der Nummer hätte aussteigen können, da es keinerlei Verbindlichkeiten oder gar Ansprüche gab, was ich ihr in einer E-Mail nach Erscheinen des Heftes noch einmal explizit mitteilte.

Wenn man den Behauptungen der bestallten und selbsternannten Weltanschauungsbeauftragten und der sogenannten Kritiker Glauben schenkt, was wir natürlich nicht tun, will die Scientology Kirche über sich selbst nichts anderes als Lobeshymnen und kritiklose Zustimmung hören. Nun ja, solche sehen wirklich ganz anders aus als unsere Darstellungen und selbst ein freundliches Schulterklopfen muß man in unserem Heft lange suchen. Aber beides war ja auch nicht der Zweck der Übung, sondern unser Interesse war und ist, einen signifikanten Schritt zu tun zur genaueren Ergründung, was Scientology und Thelema verbindet und was beide trennt - und en passant einen Gründungsmythos der Scientology Kirche, der unsere Interessen nicht unerheblich tangiert, gründlich zu zerlegen.

Wenn man den Weltanschauungsbeauftragten und den sogenannten Kritikern wiederum Glauben schenkt, was wir natürlich wiederum nicht tun, werden alle, die sich mit der Scientology Kirche und ihrer Lehre kritisch auseinandersetzen und zu Ergebnissen kommen, welche die Scientology Kirche nicht wirklich erfreuen, von der Kirche per se und in Bausch und Bogen zur Suppressive Person erklärt, was ein Kontaktverbot nach sich zieht und unter Umständen aus Sicht der Scientology Kirche repressive Maßnahmen gegen diese Personen rechtfertigt. Nun, wir haben uns kritisch mit der Scientology Kirche auseinandergesetzt und die Ergebnisse dürften auch nicht wirklich im Sinne der Kirchenpoltik sein. Aber wir haben das unter der Grundvoraussetzung getan, dass wir die Kirche und jeden Scientologen respektieren und deren Recht anerkennen, zu tun, was ihrem Willen gemäß ist. Suppressive Persons bekommen keine Interviews von der Scientology Kirche, schon gar nicht von einem Mitglied in einer Position, wie Frau Weber sie innehat, zumal es aus der Perspektive der Scientology Kirche mit einer Publikation in unserem Magazin nicht allzuviele Blumentöpfe zu gewinnen gibt. Damit will ich sagen, dass sich die Zahl der durch unsere Publikation gewonnenen Interessenten für Scientology in sehr überschaubaren Grenzen halten dürfte und dass noch der eine oder andere Tag vergehen wird, bis man sich mit einem Interview in der AHA in den Annalen des Journalismus verewigt, wobei Olaf und ich natürlich gute Gründe haben, letzteres ganz anders zu sehen. :-) Unsere Erfahrung ist also, um es zusammenzufassen, dass die Scientology Kirche sehr wohl zwischen kritischer Auseinandersetzung - auch, wenn deren Ergebnisse eher zähneknirschend zur Kenntnis genommen werden müssen - einerseits und egomanischer Larmoyanz, machtopportunistischer Intriganz und obsessiven Haßattacken andererseits zu unterscheiden weiß.

Deshalb sei der Scientology Kirche und besonders Frau Weber an dieser Stelle noch einmal für ihre, unter den konkreten Umständen keineswegs selbstverständliche, Kooperationsbereitschaft gedankt. Was mich natürlich nicht von einer Kritik an einigen von Frau Webers Ausführungen abhält.

Eine Anmerkung in eigener Sache: Die Texte zum Thema Scientology dienen ausdrücklich nicht dazu, Scientology und Dianetik zu rechtfertigen. Sie sollen vielmehr einen, im Diskurs sonst unüblichen, Blick hinter die Kulissen zu werfen und Aspekte der Historie von Scientology aufzuzeigen, die üblicherweise unbeachtet bleiben. Mir ist beispielsweise nicht bekannt, dass irgendeiner der beruflich oder in eigener Mission tätigen Kritiker von Scientology die FBI-Akten zu Rate gezogen hätte, um zu ergründen, was sich da jenseits der, von Scientology in die Welt gesetzten, Mythen und tatsächlich zwischen Jack Parsons und dem FBI abspielte. Ich habe es getan. Zweck der Übung ist also nicht, die Lehren der Dianetik und das Wirken von Scientology zu verteidigen. Allerdings halte ich es für durchaus erforderlich, die Glaubens- und Religionsfreiheit zu verteidigen und auch, wenn viele das zu glauben scheinen - es existiert keine Liste in Ergänzung zu Artikel 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, in welcher festgelegt ist, was geglaubt werden darf und was nicht. Der an dieser Stelle gerne zur Anwendung gebrachte Trick, diesem oder jenem Glaubenskonstrukt einfach die religiöse Qualität abzusprechen, ist in höchstem Maße unredlich und hat entgegen den Behauptungen derjenigen, die das tun, wenig bis nichts mit Wissenschaft zu tun.

[geschrieben 03/2008]