Annalena Baerbock und das Urheberrecht

Auch wenn ich der feinen Dame mit einem weiteren Text möglicherweise mehr Bedeutung zumesse, als sie eigentlich hat - der Diskurs in den Leit- und Qualitätsmedien zum jüngsten Streich der Baerbock ist dermaßen verblödet, und zwar seitens aller Beteiligten, dass ich mir einige Anmerkungen einfach nicht verkneifen kann. Annalena die Fabelhafte hat ein Buch geschrieben - "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern", und zwar auf üppigen 240 Seiten, die für lumpige 24 Euro im gutsortierten Buchhandel zu haben sind.

Das Dumme ist nur, dass sich jemand, ein sogenannter "Plagiatsjäger", das wegweisende Werk genauer angesehen hat und - oh Wunder! - feststellte, dass Annalena die Unglaubliche hier und da aus fremden Quellen schöpfte, was sie allerdings aber unerwähnt ließ.
https://plagiatsgutachten.com/...baerbocks-buch-jetzt-wie-wir-unser-land-erneuern/
Annalena die Wunderbare hat sich eine fürwahr schlagende Verteidigungsstrategie zurechtgelegt und die sieht so aus.

Argument 1) Annalena die Prächtige verkündet, ihr, nun ja, Werk sein kein Sach- und kein Fachbuch.

Problem 1a) Das klang anlässlich einer Buchvorstellung noch ganz anders.
https://twitter.com/ben_brechtken/status/1410664291204833280

Problem 1b) Es ist völlig gleichgültig, was ein Autor verfasst - ein Fach- oder Sachbuch, einen Liebes-, Fantasy- oder SciFi-Roman - die, wie in diesem Fall mehrfach geschehen, wörtliche Übernahme von Textpassagen dritter Autoren ist eine Plagiat, was auch gilt, wenn die die Eigenleistung resp. die Schöpfungshöhe der Textübernahme im Einfügen von Gendersternchen besteht. Punkt.

Argument 2) Annalena die Erstaunliche rechtfertigt ihr Vorgehen mit dem Umstand, es handele sich um allgemein bekannte und frei verfügbare Fakten und Information.

Problem 2a) Dass Daten/Informationen frei verfügbar, also im Netz frei abrufbar sind, heißt noch lange nicht, dass sie zur freien Verfügung im Sinne einer Drittverwendung stehen. Konkret geht es hier um die teils wortwörtliche, teils minimal geänderte Übernahme von Textpassagen aus Wikipediatexten und aus Texten der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Alle Texte in der deutschen Wikipedia sind nach CC BY-SA 3.0 DE lizenziert und Texte der bpb entweder nach CC BY-SA 3.0 DE oder (wie die englische Wikipedia) nach CC BY-SA 4.0 International, die inhaltlich der deutschen 3er-Version entspricht (oder andersherum). "CC" bedeutet Creative Commons und das "BY-SA" bedeutet "Weitergabe unter gleichen Bedingungen" ("ShareAlike") und die lauten: »Namensnennung - Sie müssen angemessene Urheber- und Rechteangaben machen, einen Link zur Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. [...] Weitergabe unter gleichen Bedingungen - Wenn Sie das Material remixen, verändern oder anderweitig direkt darauf aufbauen, dürfen Sie Ihre Beiträge nur unter derselben Lizenz wie das Original verbreiten.«
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

Die Lizenzen der Creative Commons - deutsch: schöpferisches Gemeingut - sind ein Ergebnis des Engagements für ein freies Netz mit freien Inhalten im Sinne der Open-Source-Bewegung, die nicht-kommerzialisiert dennoch die Rechte der Autoren schützen und die Regeln zur Wieder- und Weiterverwendung definieren. Sie sind common sense im besten Sinne und die ignorante Missachtung der Lizenzen durch Annalena die Zauberhafte und die Schützenhilfe ihrer Parteigenossen für sie und ihre Wahlkampfschmonzette zeigen exemplarisch, was den Grünen dieser common sense jenseits der gelegentlich vom Stapel gelassenen Lippenbekenntnisse wert ist - einen feuchten Dreck.
https://de.wikipedia.org/wiki/Creative_Commons

Jeder Zehntklässler weiß, dass man auch aus Wikipedia nicht einfach per cut & paste kopieren oder abschreiben darf - zumindest die jener insgesamt neun Jahrgänge, die seinerzeit mein Referat zur Vorbereitung der MSA-Prüfung über sich ergehen lassen mussten.

Problem 2b) Wenn es sich um allgemein bekannte Fakten handelt, warum das zwischen zwei Buchdeckel pressen und für 24 Euro verhökern? Lautet die eigentliche Frage eher so, wie Claudia Wangerin sie bei Telepolis formulierte: "Plagiat oder kostenpflichtige Version frei zugänglichen Materials?"
https://www.heise.de/tp/features/Baerbock-Buch-Plagiat-oder-kostenpflichtige-Version...

Natürlich ist die Übernahme der fremden Texte - außer möglicherweise der, die sie aus dem Spiegel hat, aber der wird sie nicht verklagen - nicht justitiabel, das hat Stefan Weber, der "Plagiatsjäger" auch angemerkt. Aber darum geht es hier nicht - und auch nicht um die Sachkompetenz Annalenas der Fantastischen, diese Frage ist längst vom Tisch. Es geht um das, was man mit dem aus der Mode gekommenen Begriff "Redlichkeit" am treffendsten beschreibt - oder mit Seriosität und Vertrauenswürdigkeit umschreibt. Skills in Sachen Kompetenz-kann man lernen, Redlichkeit nicht - die ist eine Frage des Charakters.

Abschließend noch dies - einige Reaktionen ihrer Genossen. Reinhard Bütikofer (MEP) hat einen "rechten Propagandakrieg" gegen the amazing Annalena (das ist die transatlantische Variante) und seine Partei ausgemacht.
https://twitter.com/bueti/status/1410188397134630913
Jürgen Trittin (MdB) erkennt in dem Ganzen "eine Dreckskampagne von @BILD".
https://twitter.com/jtrittin/status/1409876866517934083
Hannah Neumann (auch MEP) lässt die ARD nach einem kurzen Tagesschaubericht dies wissen "Schmutzkampagne gegen @ABaerbock. Liebe @ARDde, liebe Journalist*innen, wir alle haben eine Verantwortung für den demokratischen Diskurs. Gerade nach Trump, gerade jetzt." Was das seltsame Copyright-Unverständnis Annalenas der Unfassbaren mit Donald Trump zu tun hat, bleibt das Geheimnis der feinen Frau Neumann (wie gesagt - MEP).
https://twitter.com/HNeumannMEP/status/1409975821935259659

Ich fürchte - nein, ich bin gewiss - die Grünen wurden irgendwie von allen guten Geistern verlassen, so sie denn je welche hatten.