Frei nach Otto Julius Bierbaum - Humor ist, wenn man erst recht lacht.

Dem Steinmeier hat es am 17. Juli 2021 nach 13:30 Uhr in Erftstadt das Herz zerrissen und der Laschet hat währenddessen den Clown gegeben. Die Empörung war groß und ist es noch immer. Lars Klingbeil war "wirklich sprachlos" (wenn er es denn mal wäre) und der SPD-Kevin befand, Laschets Verhalten wäre "eine Frage des Charakters". Der seit einiger Zeit irgendwie unvermeidliche Igor Levit hielt das Verhalten des NRW-MP für "würdelos" und der Theologe und professionelle Deuter dessen, was er für Ethik hält, Peter Dabrock nannte es "Pietätlosigkeit".
https://www.zeit.de/...lachen-entschuldigung
Hier das Video des WDR zum Geschehen:
https://www.youtube.com/watch?v=tEoBExpkWn8 (ab 2:35).

Andere sprangen Laschet bei - oder versuchten es zumindest. Dirk Peitz, Ressortleiter Kultur von Zeit online, hat sich der Bilder angenommen und kam nach einer Vorführung seines exquisiten Bildungsniveaus in Gestalt eines kleinen Exkurses durch Roland Barthes' philosophische Anmerkungen zur Fotografie, einem (thematisch passenden) Vergleich mit den Gummistiefelbildern von Gerhard Schröder (2002) und (völlig deplatzierten) Vergleichen mit Willy Brandts Kniefall in Warschau (1970) und den Bildern vom 11. Septembers 2001 zu folgendem Fazit:
»Armin Laschet hat gelacht, das zeigen die Bilder, das ist tatsächlich so gewesen, und es bedeutet erst einmal: nichts. Außer dass der Kanzlerkandidat der Union auch in den schweren Stunden anderer Menschen offenbar nicht seinen Humor verliert. Diese Bilder werden nun instrumentalisiert werden. Obwohl sie im Grunde nichts anderes erzählen als: Dieser Kandidat hat das Kostüm eines Staatsmanns anprobiert, und es passt ihm augenscheinlich (noch) nicht.«
https://www.zeit.de/...armin-laschet-lachen-hochwasser...

Der Laschet als - komme, was da wolle - notorischer Scherzkeks - das kann man natürlich so sehen. Allerdings ist Laschet nach einer lebenslangen Karriere in der Politik seit vier Jahren Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, das mit knappen 18 Millionen mehr Einwohner hat, als Norwegen, Finnland und Dänemark zusammen. Da stellt sich eine, für einen Kanzlerkandidaten nicht ganz unwichtige Frage: Wie viel Übung in Sachen Staatskunst braucht es denn eigentlich noch, bis dem Laschet die staatsmännische Jacke passt?

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Das alles - sei es die Charakterfrage, seien es vermeintliche oder tatsächliche Würde- resp. Pietätlosigkeit - ist natürlich moralisierender Blödsinn, der das eigentliche Problem komplett verfehlt. Wichtiger, weil offensichtlich symptomatisch und systemisch, ist ein anderer Punkt. Fast allen Empörten, Spöttern und Rechtfertiger wider und für Laschet - sie hatten offensichtlich nur die WDR-Version gesehen - ist nämlich die Szene, die Laschets Hampelei folgte, entgangen. Fast allen - bis auf den Berliner Tagesspiegel, zumindest habe ich in keinem anderen Leit- und Qualitätsmedium einen diesbezüglichen Hinweis gefunden. Dort, in der Tagesspiegelredaktion, hat man sich wohl die Version von Phoenix angesehen, die Laschets Ansprache - er war nach dem Bundespräsidenten dran - aus einer anderen Perspektive zeigt, nämlich mit freier Sicht auf Steinmeier. Der amüsierte sich, nachdem er sich die Betroffenheitsmiene aus dem Gesicht geknetet hatte, offensichtlich ebenfalls prächtig und bewies, dass man auch mit "zerissenem Herzen" Spaß haben kann. Hier das Video von Phoenix zum Geschehen:
https://www.youtube.com/watch?v=1ar_QhVWr2A (ab 9:05).

Dass der höchste Repräsentant dieses Landes und derjenige, welcher der dritthöchste werden möchte, auf ein und derselben Veranstaltung im Kontext einer veritablen Katastrophe herumblödeln und feixend und kichernd am Rande stehen, nachdem resp. bevor sie etwas heucheln, was sie wohl für Empathie halten - DAS ist symptomatisch für die ethische und geistige Verfassung der politischen Elite hierzulande und exakt DAS - nicht mehr, aber auch nicht weniger - illustrieren diese Bilder. Denen geht komplett am Allerwertesten vorbei, was außerhalb ihrer blickdichten Blase passiert und das nennen sie "Haltung" und verkaufen es als Pragmatismus. Deshalb halten sie es in ihrer bräsigen Arroganz nicht einmal für nötig, für der Situation angemessene Bilder zu sorgen, wie Kohl es während der Oderflut 1997 und Schröder während der Mitteleuropaflut 2002 taten. Sie werden doch sowieso gewählt - und wenn es nur in Ermangelung wählbarer Alternativen ist -, dessen sind sie sich gewiss, und falls wider Erwarten doch nicht, gibt es genug gutdotierte Pöstchen in Verbänden, Stiftungen, Vereinen und natürlich in irgendeinem EU-Gremium. Das passt schon, wie die Eva Högl am 18. August 2017 demonstrierte, als sie hinter Martin "Schulz-Zug" Schulz den Kasper machte, während der sein Beileid für die Opfer des Terroranschlags von Barcelona bekundete - heute ist sie Wehrbeauftragte des Bundestages, und das ohne jedwede Qualifikation für den Job. So sah das damals aus:
https://www.youtube.com/watch?v=MKM316988tQ



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