Kolberg - Kołobrzeg 2017 - und eine Erkenntnis

Vom 8. bis zum 15. Oktober war ich nach zwei Jahren zum zweiten Mal einige Tage in Kolberg und logierte wieder erster Klasse und Fünfsterne im Marine Hotel (Google Maps), (Webseite), und zwar in einem Zimmer dieser Art.

Den Urlaub hatte mir mein Bruder zum Geburtstag geschenkt, dessen Nummer ich nicht nennen kann, ohne sofort wieder ziemlich deprimiert in die Gegend zu gucken. Ich hatte schon nach dem ersten Besuch 2015 ausführlich berichtet, deshalb hier nur einige fotografische Impressionen. Anstelle einer Stadtführung gibt es diesmal einen kleinen, aber handfesten Wutausbruch, den ich allerdings, um das Kolbergsche Idyll nicht zu ramponieren, in diesem Beitrag zum Vortrag bringe. Eine Erkenntnis gebe ich jedoch hier schon zum Besten - und die ergab sich folgendermaßen: Wenn man die herbe, mitunter spröde Schönheit der Landschaft mag und wenn man ein Bewusstsein und ein Gespür für Geschichte in Verbindung mit dem erforderlichen Wissen hat, kann es passieren, dass den Besucher der Gebiete in Hinterpommern, den Pommerellen, Ermland und Marienburg bis nach Königsberg ein seltsames Gefühl beschleicht. Es ist schwer zu beschreiben, es ist eine Mischung aus Sentimentalität und einer Art von historischem Phantomschmerz, so lässt sich das wohl am besten beschreiben. Das Gefühl ist - zumindest empfinde ich es so - nicht sehr ausgeprägt, es beschleicht mich in bestimmten Momenten eher wie eine Ahnung und manifestiert sich - wie eine solche - eher im Oberbauch als im Kopf. Es mag bei Menschen mit historischen resp. familiären Bezügen in diese Regionen stärker sein und bei Menschen ohne den entsprechenden historischen Kontext wird es sich gar nicht einstellen. Dieses Gefühl resultiert einerseits aus dem Wissen um den katastrophal verbrecherischen Irrsinn, in dessen Folge Deutschland diese Gebiete verlor, und andererseits aus dem Erleben der Schönheit der Landschaft und der Städte.

Doch bei diesem Besuch verfestigte sich ein zunächst flüchtiger Eindruck anlässlich meines Kolberg-Besuches im Jahr 2015 zu einer Erkenntnis und ich weiß sogar genau, in welchem Moment das war. Als sich mein Tagesausflug nach Danzig dem Ende näherte und ich auf dem Weg zum Bahnhof war, rastete ich unterwegs auf einer Bank gegenüber dem Altstädtischen Rathaus vor dem Denkmal für Johannes Hevelius und amüsierte mich darüber, dass man auch den deutschen Herrn Hevel zu Jan Heweliusz polonisiert hatte. In diesem Moment stellte sich folgende Erkenntnis ein:

Es ist gut so, wie es ist. Es ist gut, dass Stettin, Kolberg, Stolp, Danzig, dass diese Regionen von Hinterpommern über die Pommerellen bis zum Ermland - das gilt auch für die anderen ehemaligen deutschen Ostgebiete wie Schlesien - polnisches Hoheitsgebiet sind und bleiben werden.

Wenn dem nicht so wäre, wenn sich diese Gebiete heute in deutscher Hand befänden, so mein Gedanke, säße ich nicht in einem gepflegten, kleinen Park, sondern, nachdem ich - wie in der Berliner Hasenheide - vier oder fünf, an Weggabelungen positionierte Drogenhändler passiert hätte, in einem Drecksloch voller Müll und Hundescheiße auf einer verdreckten - wenn überhaupt funktionstüchtigen - Bank und das Hevelius-Denkmal glänzte nicht in der Herbstsonne, sondern wäre beschmiert mit den Pissmarken debiler Idioten, die man hierzulande euphemistisch "Graffiti" nennt und die einige "Experten" der kultur- resp. kunstwissenschaftlichen Fakultäten für quasi-künstlerische Entäußerungen von Individualität halten. Als ich am 15. Oktober gegen 12:00 Uhr in Berlin Lichtenberg ankam, was Glück war, weil man es in Deutschland zwar nach zehn Tagen immer noch nicht geschafft hatte, die Folgen des Sturms "Xavier" zu beseitigen, aber an diesem Tag ausnahmsweise, wie die Zugbegleiterin anmerkte, ein Zug mit Diesellok von Stettin nach Berlin fuhr - so viel en passant zum Thema Diesel-Ausstieg -, und ich mich in der irrigen Annahme, dort wäre ein Taxi zu finden, zum Taxistand begab, stieß ich statt auf ein Taxi auf einen riesigen Haufen Hundescheiße und jede Menge Scherben zerbrochener Flaschen direkt vor dem Bahnhofsausgang. Um doch noch ein Taxi zu finden, musste ich zurück zur S-Bahn und bis zum Ostbahnhof fahren, was für diese vier Stationen satte zwanzig Minuten dauerte, das Geplärr des Zugführers aus den Lautsprechern war nicht zu verstehen. Zu Hause angekommen stellte ich fest, dass das Bezirksamt es nicht geschafft hatte, den Baum, der zehn Tage vorher umgefallen war, wegzuräumen, aber die drei wilden Müllhalden an den Straßenrändern innerhalb meines Blickfeldes vom Balkon in die Reuter- und die Pannierstraße waren noch da.
Ich weiß nicht sicher zu sagen, was hierzulande passierte, noch wann das Dilemma passierte. Mit einiger Wahrscheinlichkeit dürfte es jedoch der Tatsache geschuldet sein, dass den Deutschen das Bewusstsein für das Eigene verlorenging - was hier als vermeintliche Aufklärung daherkommt. Es ist aber das ziemlich exakte Gegenteil von Aufklärung, was hierzulande passiert - zumindest, wenn man unter Aufklärung nach Kant den Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit versteht. Die hiesige Gesellschaft begibt sich seit Jahren in die selbstverschuldete Unmündigkeit des hedonistischen Konsumismus und der bis ins Idiotische banalisierten Beliebigkeit der Werte und Traditionen. Dieses Phänomen wird von dessen Nutznießern als "Liberalität" propagiert und von der Mehrzahl der Menschen leider auch so verstanden. Die Polen hingegen haben einen ausgeprägten und starken Bezug zu dem, was ihrer kulturellen und nationalen Identität eigen ist. Ich hoffe, sie können sich das bewahren.
Vor einigen Tagen sah ich nach dem Zustand meines Fluchtkoffers. Mit diesem Köfferchen, in der DDR nannte man diese Dinger "Campingkoffer", wollte ich im Sommer 1971 mit nicht ganz 14 Jahren nach Westberlin abhauen, am 17. August 1984 habe ich mit ihm - ich durfte nur Handgepäck mitnehmen - tatsächlich die DDR verlassen. Möglicherweise brauche ich ihn ein drittes Mal.

Kurz zusammengefasst - befände sich Danzig heute noch in deutscher Hand, wäre die Stadt nicht die "Perle an der Ostsee", das historische und architektonische Schmuckstück, das es heute ist, sondern sie wäre genauso heruntergekommen wie deutsche Städte vergleichbarer Größe - wie Dortmund, Bremen, Leipzig, Duisburg, Essen oder Bochum. Deshalb noch einmal: Es ist gut so, wie es ist.

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Abfahrt mit dem Bus vom Alexanderplatz Blick aus dem Bus Blick vom Stettiner Hauptbahnhof auf die Westoder Blick auf die Westoder Ostsee-Küste in Kolberg

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Strand-Impressionen Strand-Impressionen Strand-Impressionen Blick in den Ekopark Wschodni Ekopark Wschodni

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Strand-Impressionen Nicht nur ein Fahrrad, sondern ein Statement: "Ich wohne im 5-Sterne-Hotel, wo wohnst du?" Strand-Impressionen Ekopark Wschodni Ekopark Wschodni

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Ekopark Wschodni Ekopark Wschodni Strand-Impressionen Strand-Impressionen Leuchtturm, 1945 auf den Resten des Forts Münde erbaut

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Alte Post Alte Post Platz des 18. März Kolberger Bahnhof Stadtimpressionen

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Stadtimpressionen Stadtimpressionen - Dubois Stadtimpressionen - Dubois Kolberger Dom - Marien-Basilika, von der Armii Krajowej aus gesehen Altes Rathaus

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Das Museum der polnischen Waffen... ...diesmal nur von außen besichtigt. Webseite des Museums Museum der polnischen Waffen, im Hintergrund der Dom Museum der polnischen Waffen

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